1945: Wie ein Franzose Obertrubach rettete
6.5.2020, 11:28 UhrGuilguès Einsatz bewahrte den Ort und seine Einwohner beim Einmarsch der Amerikaner vor einer drastischen Strafaktion. Daraus erwuchs eine deutsch–französische Freundschaft.
Pfarrer Michel, so kannten ihn alle seine Freunde, schrieb mit den Obertrubachern denkwürdige Geschichte. Als Zwangsarbeiter musste er, damals Theologiestudent, zwei Jahre bis 1945 in Nürnberg arbeiten. In den letzten Wochen des Krieges fand er mit seinem Freund Jean Vannier Unterschlupf und Schutz im Pfarrhaus von Obertrubach.
Aus dem Hinterhalt
Als die Amerikaner, bei gehievter weißer Fahne aus Bärnfels kommend, am 15. April 1945 um 16.30 Uhr in den Ort einfuhren, erschoss ein versprengter SS-Angehöriger aus einem Wohnzimmerfenster heraus einen amerikanischen Offizier und flüchtete. Dem beherzten Verhandlungsgeschick von Michel und seinem Freund als starke Fürsprecher des Ortes war es zu verdanken, dass es keine fatale Strafaktion der Amerikaner gegen Obertrubach gegeben hat.
Er war in der damaligen Situation als Franzose eben glaubwürdig. Als Michel nach der Befreiung zurückging in seine Heimat, riss der Kontakt nach Obertrubach nie mehr ab. Oft bezeichnete er das Trubachtal als seine zweite Heimat. Daraus wurde ein Symbol inniger gelebter deutsch-französischer Freundschaft, im kleinen, aber intensiven Rahmen. Jugendgruppe und Kirchengemeinde statteten Michel in seiner Heimat Besuche ab. Damit wuchsen auch zarte Bande im privaten Bereich wie auch mit der politischen Gemeinde Obertrubach.
Maria Schmitt aus Obertrubach und Elisabeth Distler aus Schoßaritz umsorgten über Jahre Pfarrer Michel bei seinem Aufenthalt in Obertrubach und stellten ihre Unterkunft zur Verfügung. Er gehörte dort zur Familie. „Bei jedem runden Geburtstag und Priesterjubiläum nahmen wir in Frankreich daran teil. 28 Jahre war er in meiner Amtszeit jedes Jahr im August meine Urlaubsvertretung und erfüllte treu seine Pflicht“, denkt Pfarrer Werner Wolf an die abwechslungsreiche Zeit zurück.
Bis zu seinem 90. Lebensjahr setzte sich Michel jedes Jahr an das Steuer seines Autos, um die 1000 Kilometer nach Obertrubach zu fahren. Er macht hier im August vier Wochen Urlaubsvertretung in der Kirchengemeinde. „Wir haben uns seit dem ersten Tag geschätzt und begegneten uns all die Jahre in brüderlicher Verbundenheit“, würdigt Wolf das Wirken seines Freundes. Karl Reichel aus Obertrubach hat eine detaillierte Chronik für die Nachwelt verfasst. Dazu bewahrt er auch Memoiren von Pfarrer Michel auf.
Als die Nachricht vom Ableben ihres 92-jährigen Ehrenbürgers Pfarrer Michel Guilguè am 4. August 2014 Obertrubach erreichte, war es für die Gemeinde und Freunde des Ehrenbürgers von Obertrubach selbstverständlich, ihrem völkerverbindenden Freund die letzte Ehre in seiner Heimat Bracieux, unweit von Orleans im Loiretal, zu erweisen.
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