Adrenalin zum Beruf gemacht

22.04.2011, 21:00 Uhr
Adrenalin zum Beruf gemacht

© Irene Lenk

Dass hier, in den Räumlichkeiten einer ehemaligen Waschküche und Autoaufbereitung, junge Unternehmer ihr Hobby zum Beruf gemacht haben, sieht man Markus Flossmann (36) und Stefan Willared (40) auf den ersten Blick an. Geht es um halsbrecherische Sprünge über Steine und Wurzeln auf einem Zweirad, leuchten die Augen der beiden gebürtigen Nürnberger. Jeans, Sportschuhe und Kapuzenpullover passen dazu besser als feiner Zwirn, die überwiegenden Kunden sind zwischen 13 und 20 Jahre alt und ausgeflippt — daher auch Werbung wie die mit dem Mechaniker, der mit heruntergelassenen Hosen auf der Toilette sitzt.

Arbeiten beide heute „wie siamesische Zwillinge“ (Willared) Hand in Hand, kommen der Geschäftsführer und sein Chefentwickler ursprünglich aus völlig unterschiedlichen Arbeitsbereichen: Flossmann aus der Fitnessbranche, Willared von einem Automobilzulieferer. Was sie eint ist ihre Liebe zum Sport mit den hydraulischen Bremsen, der millimetergenau justierten Schaltung, dem großen Federweg und der Portion Adrenalin: dem Mountainbiken. „Dass wir zusammen Bikes herstellen, ist Zufall. Wir sind uns mal in einem Forchheimer Fahrradladen begegnet“, erinnert sich Flossmann, der sich damals gerade mit einer Internetseite für aufstrebende Bike-Talente selbstständig gemacht hatte. „Ich hab’ Stefan gefragt, ob wir zusammen Bikes konstruieren wollen.“ Die Geschäftsidee: „Günstige, wettkampftaugliche Fahrräder produzieren, die eine hohe Qualität haben.“ Durch drei Tatsachen kollidiere dabei bei „YT-Industries“ die Qualität nicht, wie so oft, mit dem Preis: „Wir vertreiben die Bikes über das Internet — ohne Zwischenhändler. Und wir bieten nur ein Modell pro Einsatzbereich in nur einer Ausstattungsvariante an. Dadurch bläht sich der Preis nicht künstlich auf“, verrät Flossmann.

155 Modelle brachte er, damals noch vom Firmensitz in einer Leutenbacher Mietswohnung der Schwiegermutter, für 499 Euro pro Stück auf den Markt. „Vergleichbare Modelle waren bei der Konkurrenz doppelt so teuer. In zehn Tagen waren meine Räder ausverkauft.“ Mit acht Modellen ging es 2010 weiter, 2011 waren es zehn, die streng gehüteten Entwürfe der 2012er Rahmen hängen direkt hinter ihm an der Magnetwand.

Adrenalin zum Beruf gemacht

© Irene Lenk

Seine Ideen zeichnet der Geschäftsführer grob auf ein Papier, das er an seinen Chef-Entwickler weitergibt. Der erstellt, nachdem die Detailfragen geklärt sind, eine technische Zeichnung. Die wandert zurück an den Geschäftsführer, der grafisch Hand anlegt und die Mappe letztlich an Willareds Ehefrau weitergibt, die alles in den Computer überträgt. „die Pläne gehen dann zu unseren Partnern nach Taiwan, die den Rahmen fertigen“, berichtet der Entwickler.

Obwohl Taiwan Tausende von Kilometer entfernt ist, „funktioniert die Zusammenarbeit dank des Internets so, als würden die Jungs bei uns unten im Keller schweißen“, sagt Willared. „Notfalls male ich unsere Wünsche auf und recke das Papier in die Webcam.“ Nur die sechs Stunden Zeitverschiebung erinnern hin und wieder daran, dass Taipeh doch nicht im Keller der Zweibrückenstraße liegt.

Jungfernfahrt ist Chefsache

Stehen nach rund einem Dreivierteljahr die Prototypen vor der Vollendung, reisen Willared und Flossmann nach Asien, um bei den letzten Handgriffen über die Schulter zu sehen. „Wir bekommen vor Ort Tipps, wie wir durch Änderungen Kosten sparen können.“ Dann steigen die beiden in den Sattel und testen das Unikat bei einer Runde um die Reisfelder Taiwans oder zurück in der Heimat im Bikepark Osternohe. „Das ist jedes Mal aufs Neue wie an Weihnachten.“

Wenn die zehn Profis, die bei „YT“ unter Werbevertrag stehen, die Räder auf Herz und Nieren getestet und deren Verbesserungsvorschläge eingearbeitet wurden, gehen die Rahmen in die Produktion.

Das Unternehmen besteht aus acht Personen, die Mietswohnung ist zwei Büros, einer Montagehalle und zwei großen Lagerräumen gewichen. „Wir brauchen als nächstes eine Lagermöglichkeit für die Seecontainer“, sagt Stefan Willared. Denn die Anfragen steigen, mittlerweile bestellen aus ganz Europa und sogar Australien Kunden ihre Bikes per Internet in Forchheim. Und loben den Service.

„Wir wollen mit der Fachhochschule Nürnberg zusammenarbeiten, um junge Designstudenten mit ins Boot zu holen“, sagt der Chefentwickler. „Die müssen aber alle mountainbikebegeistert sein.“ Eben genau wie Willared und Flossmann.