Behinderte beleidigt: Fränkischer Gastwirt setzt Zeichen gegen Ausgrenzung
8.10.2019, 16:04 UhrEs ist der 3. Oktober. Feiertag. Das Wetter ist gut. Im Landgasthof Lahner herrscht am Mittag Hochbetrieb. An einem Tisch in der Gaststube hat eine Familie Platz genommen, die ein behindertes Kind hat. "Wir kennen die Familie, sie kommen regelmäßig zu uns", erzählt Marcus Müller, Inhaber des Landgasthofs.
Einer Familie am Nachbartisch scheint die Situation jedoch wenig zu behagen – und das bringt die Frau auch zum Ausdruck. Solche Menschen sollten kein Recht haben, hier zu sitzen, sagt sie und fügt dann noch an: Sie gehörten in ein Heim, um dort zu verrotten.
Nicht nur andere Gäste, auch die Bedienung hört das abwertende Urteil. Doch kann sie wegen des großen Ansturms ihrem Chef erst später von dem Vorfall erzählen. Als Marcus Müller davon hört, ist er geschockt und stocksauer, kann aber nichts mehr machen. "Die Familie hat gegessen, bezahlt und war längst gegangen." So musste er es dabei belassen.
Doch es ist noch nicht das Ende dieser unrühmlichen Geschichte. Denn als Marcus Müller am Abend seine E-Mails durchsieht, sticht ihm eine ins Auge, die offensichtlich von einem gerade erst anonym angelegten Account gesendet worden ist. Er solle doch bitte darauf achten, welches Klientel er sich ins Haus holt, steht da. Und: "Wenn sowas öfters da ist, kommen wir nicht wieder." Der Gastronom ist sich sicher: Das muss die Dame vom Mittagessen gewesen sein – und er ist noch mehr geschockt über die Dreistigkeit. Sofort antwortet er ihr: Wer so intolerant sei, könne ihm als Gast gestohlen bleiben.
"Sie brauchen auch nicht wieder kommen"
Doch dabei will er es nicht bewenden lassen, "schließlich leben wir in einer Zeit, in der es normal sein sollte, dass Menschen mit Behinderung genauso am Leben teilnehmen können wie jeder andere auch", sagt er gegenüber den NN. Dazu will er stehen – und geht an die Öffentlichkeit: Im sozialen Netzwerk Facebook erzählt er von dem Vorfall, mit allen Details. "NEIN, Sie brauchen auch nicht wieder kommen, ich schmeiße Sie sowas von raus, das glauben Sie mir gar nicht, wenn ich merke, Sie besuchen uns nochmal", macht er seinem Ärger Luft.
Die Reaktionen überwältigen ihn: Innerhalb kürzester Zeit haben 80.000 Menschen den Post gelesen, über 350 kommentieren die Geschichte – fast ausschließlich positiv. "Sehr mutig", "allen Respekt", "herzlichen Dank für diese Haltung", schreiben die Leser. Über diese Reaktionen und über die Diskussionen, die er ausgelöst hat, in dem er seine Geschichte teilte, sei er "richtig platt" und "absolut begeistert", sagt Marcus Müller.
"Da kommen die Kloppis"
Das Thema Diskriminierung beschäftigt ihn schon länger, denn es ist nicht der erste Vorfall in dieser Hinsicht. "Sie glauben gar nicht, was man in der Gastronomie inzwischen erlebt", sagt er im Telefonat mit den NN. Wenn zum Beispiel die Bewohner der benachbarten Behinderteneinrichtung "Sonnenhaus" bei ihm zu Gast seien, fielen Sprüche wie "Da kommen wieder die Kloppis". Auch demonstratives Aufstehen und Gehen von anderen Gästen habe er schon erlebt.
Und nicht nur das. Auch seine Bedienungen – zwei kommen aus Bulgarien, eine aus Weißrussland – müssten sich regelmäßig beleidigen lassen. Das schlimmste, das einmal jemand zu ihnen gesagt habe, war: "Solche Schlampen wie Sie nehmen unseren Frauen den Job weg", erinnert sich der Gastwirt. Er habe sich daher angewöhnt, Stellung zu beziehen. Besagten Herren habe er daraufhin gezeigt, wo die Tür ist.
Ein Danke für die "klaren Worte gegen Diskriminierung und Ausgrenzung jeglicher Art" kommt auch vom ASB Forchheim. Beate Schulz ist Leiterin der Tagesstruktur im Forchheimer ASB-Wohnheim und als solche oft mit ihren Schützlingen unterwegs. Sie ist froh, dass sie dabei solche Erfahrungen noch nicht machen musste. "Wir gehen regelmäßig Einkaufen, zum Essen auf die Keller oder in die Stadt und werden eigentlich immer positiv aufgenommen", sagt sie. Dennoch kennt auch sie die andere Seite. "Ich habe einen erwachsenen Sohn mit Down-Syndrom", sagt sie, "wenn ich mit ihm unterwegs bin, schauen die Leute schon."
Vorfall bleibt im Gedächtnis
Das erlebt auch Ina Wilutzky, Leiterin der Offenen Behindertenarbeit in Forchheim, wenn sie mit einer ihrer Gruppen unterwegs ist. "Es kommt schon vor, dass wir schräg angeschaut werden", sagt sie. Nicht jeden schiefen Blick nehme sie mehr war. Ein Vorfall ist jedoch auch ihr in Erinnerung geblieben – als sie mit ihren Schützlingen Eis essen wollte und vom Besitzer der Eisdiele und anderen Kunden abfällig behandelt worden sei. "Wir wurden zwar nicht vor die Tür gesetzt, aber es war schon eindeutig, dass man uns da nicht haben will", erzählt sie.
Trotzdem denkt sie positiv: Insgesamt sei es besser geworden. "Ich habe den Eindruck, dass es inzwischen mehr Verständnis für Menschen mit Behinderung gibt."
Verständnis schaffen für alle, die anders sind, das wollte auch Marcus Müller mit seinem öffentlichen Brief. Und so schreibt er: "Bei uns im Lahner ist jeder herzlich willkommen, egal ob du schwul, lesbisch, schwarz oder weiß bist. Uns ist es egal, ob du dick oder dünn bist, jung oder alt, ob du ein Mensch mit Behinderung oder einfach nur anders bist."
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