Landtag beschäftigte sich mit Fall
Forchheimer Familie nach sechs Jahren in Ukraine abgeschoben
29.9.2020, 07:00 UhrAuf der Terrasse der Wohnung im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses im Forchheimer Osten steht das Kinderfahrrad der vierjährigen Kira und der Roller ihrer zwölfjährigen Schwester Anastasia. Genauso wie die Gartenstühle und der -tisch. Alles ist noch da. Nur die Familie, die hier bis Sonntag lebte, nicht mehr. Gestern morgen um 4.30 Uhr wurden Viktoriya und Denis Beskishkin und ihre zwei Töchter von der Polizei abgeholt und nach München gebracht, von wo aus der Abschiebeflug in die Ukraine gehen sollte. Am Nachmittag kam die Nachricht: Sie sind bereits gelandet.
Viktoriya und Denys Beskishkin stammen aus Rovenki in der Region Lugansk im Osten der Ukraine. Sie kommen von dort, wo im Frühjahr 2014 die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der Ukraine und prorussischen Separatisten begannen. Im Sommer desselben Jahres entschieden sie sich zur Flucht in Richtung Deutschland. Im September kamen sie im Landkreis Forchheim an. Sechs Jahre lebten sie hier.
Vor zwei Wochen wendeten sich Freunde der Familie an die Redaktion der Nordbayerischen Nachrichten. Zuvor hatte die Familie ein Schreiben von ihrer Anwältin erhalten. Der Asylantrag war endgültig abgelehnt worden, alle Rechtsmittel ausgeschöpft, stand dort. Die zentrale Ausländerbehörde in Bayreuth, wo der Fall der Familie bearbeitet wurde, teilte mit, dass die Familie nun jederzeit mit der Abschiebung rechnen müsse.
Tochter auf dem Gymnasium
Für Freunde, Bekannte, aber auch mögliche Arbeitgeber war diese Entscheidung nicht nachvollziehbar. Die Familie sei gut in Deutschland integriert, erklärten sie. Anastasia, die große Tochter, hatte gerade den Sprung von der Realschule aufs Gymnasium geschafft. Ihre Mutter Victoriya hatte einen Ausbildungsvertrag als Altenpflegerin im Wohnstift Ratsberg in Erlangen bekommen. Am 1. September hätte sie dort anfangen sollen. Vater Denys hätte bei seinem alten Arbeitgeber, einem Hausmeisterservice, wieder arbeiten können.
Eine Arbeitserlaubnis hatten beide seit März jedoch nicht mehr. Nach Ablehnung ihres Asylantrags galten sie als ausreisepflichtig. Doch sie konnten nicht verstehen, dass sie in Deutschland keine Chance haben sollen, obwohl sie doch selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen wollten. "Wir wollen keine Sozialhilfe, wir wollen alles selbst machen, wir wollen hier leben und arbeiten", sagten sie beim Gespräch vor zwei Wochen.
Flüchtlingshelfer zeigt Alternative auf
Durch die NN konnte der Kontakt zu Rainer Hofmann hergestellt werden, der sich als ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer im Landkreis sehr engagiert. Er riet ihnen, einen anderen Weg einzuschlagen: Eine freiwillige Ausreise und eine Rückkehr mit einem offiziellen Arbeitsvisum.
"Die Familie hat positiv darauf reagiert", sagt Rainer Hofmann nun am Telefon. Die Voraussetzungen dafür wollten sie gerade in die Wege leiten. Auch bei einem Termin bei ihrem Sachbearbeiter in der zentralen Ausländerbehörde in Bayreuth sollte über die freiwillige Ausreise gesprochen werden. Dieser war am vergangenen Donnerstag.
Doch Viktoriya Beskishkina wurde krank. Sie konnten den Termin nicht wahrnehmen, sendeten daher die Krankmeldung des Arztes. Dann stand die Polizei vor der Tür. "Das ist ein Schock", sagt Rainer Hofmann und spricht für die Freunde und Helfer der Familie. Er hält die Abschiebung für "äußerst fragwürdig". Nicht nur, dass in der Heimat der Familie gerade einmal seit Juli diesen Jahres ein Waffenstillstand herrsche. Die Familie stünde dort vor dem Nichts, die Mädchen könnten noch nicht einmal die Sprache, meint er. Auch vor dem Hintergrund der Corona-Infektionen hält er das Vorgehen für fraglich. In der Ukraine steigen die Infektionszahlen, für Deutsche besteht eine Teilreisewarnung.
Was geschieht mit den Sachen?
Der Flüchtlingshelfer wollte die Sache nicht auf sich beruhen lassen und setzte alle Hebel in Gang, um die Abschiebung doch noch auszusetzen. Neben einem Schreiben an Innenminister Joachim Herrmann und einer Petition an den Petitionsausschuss des Landtages wendete er sich auch an die Härtefallkommission. Da saß die Familie Beskishkin schon im Flugzeug. Den Helfern ist noch nicht mal klar, was jetzt mit den Sachen in der Wohnung der Familie geschieht.
Die Regierung von Oberfranken macht in einer Antwort auf eine offizielle Anfrage der NN-Redaktion deutlich: "Die Familie Beskishkin ist nach bestandskräftiger Ablehnung ihrer in Deutschland gestellten Asylanträge bereits seit Februar 2020 ausreisepflichtig. Die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eingeräumte Ausreisefrist von 30 Tagen ist im März abgelaufen. Bis Juli wurde die Familie jedoch coronabedingt geduldet. Seitdem ist die freiwillige Rückkehr in die Ukraine mit Linienflügen wieder möglich", schreibt die Pressesprecherin. Ein Ausreisegespräch habe bereits im Juli stattgefunden. Dort sei die Möglichkeit einer Wiedereinreise über das Visumsverfahren ebenso besprochen worden. Die Familie habe dort aber geäußert, dies nicht zu wollen.
Gerichte bestätigten Entscheidung
Zudem teilt die Behörde mit, "dass der Familie kein Schutzstatus zuerkannt werden kann." Sowohl das Verwaltungsgericht Bayreuth als auch der Verwaltungsgerichtshof München haben dies bestätigt. Die Ausbildungsduldung sei abgelehnt worden haben, "weil bereits im März 2020 konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung eingeleitet worden sind." Auch dies habe das Verwaltungsgericht Bayreuth bestätigt.
Inzwischen kam auch eine Auskunft von der Grünen-Landtagsabgeordneten Stephanie Schuhknecht, Mitglied im Petitionsausschuss. Wenn die Petition im Ausschuss behandelt werde, werde dies mit einer Stellungnahme des Ministeriums einhergehen, die die gesamte ausländerrechtliche Geschichte der Familie darstellen werde. Von der Einreise bis zur Abschiebung.