Händels "Messiah" in Forchheim

9.1.2015, 18:03 Uhr
Händels

© Udo Güldner

4000 Sänger, 500 Orchestermusiker und fast 90 000 Zuhörer. An die monumentalen Ausmaße der Jubiläumsaufführung 1885 in London, zu Händels 200. Geburtstag, kommt Forchheim nicht heran. Glücklicherweise wird man nach dem abschließenden „Amen“ denken. Denn in London sind die Nuancen im Stimmengewirr untergegangen — ein Schicksal, das dem „sacred oratorio“ diesmal erspart bleibt.

Der „Messiah“ ist ein mit Tönen gemaltes Triptychon, also ein Altarbild aus drei Teilen, erzählend von der Geburt Jesu, dann von seinem Martyrium und der Auferstehung, und zuletzt von der Erlösung aller. Der Mittelteil, auch beim Flügelaltar von zentraler Bedeutung, zeigt nur kurz die Leidensgeschichte Jesu. Dies aber voller drastischer Effekte.

Musikalische Offenbarung

Eine musikalische Offenbarung ist dabei die Altistin Renate Kaschmieder (Wendelstein), deren einfühlsame, tiefgründige und ausdrucksstarke Stimme besonders in der Arie „He was despised“ (Er ward verschmähet) durch das vollbesetzte Kirchenschiff — nein: nicht hallt, eher schneidet, klangscharf wie die Geißelhiebe, die auf Jesu Rücken niederfahren.

Größeren Raum nimmt die Zeit nach dem bei Händel nicht erwähnten Kreuzestod ein, die von einem fulminanten „Halleluja“ gekrönt wird. Punktgenau ertönen die extra in Schwingung versetzten Kirchenglocken der Johanniskirche.

Besonders die Sopranistin Eva-Maria Helbig (Erlangen) weiß die altenglischen Zeilen, die den Propheten, den Psalmen oder den Paulus-Briefen entnommen sind, bedeutungsvoll zu deklamieren, zu singen, zu beleben.

Wie die „camerata bamberg“, ein Ensemble aus Musikern aus Bamberg und Umgebung, bereits die todkündende „Sinfony“ (Sinfonia) im düsteren e-moll in eleganter französischer Manier darbietet, wie sie der Hirtenmusik (Pifa) eine bukolische Eleganz abgewinnt, wie sie den trockenen Accompagnato-Stellen Prägnanz verleiht und den Solisten Raum zur Entfaltung gibt: ein Erlebnis.

Dann schlägt die Stunde des Tenors Philip Farmand (Köln). Er wendet mit dem aufmunternden „Comfort ye my people“ (Tröstet, tröstet mein Volk) das Blatt, bietet mit seinem warmherzigen Gesang in E-Dur den Trost, den die Gläubigen begierig aufsaugen. Sie werden erlöst werden, ganz am Ende.

Zu Beginn noch sanft von der Musik begleitet, in der Arie „Ev’ry valley shall be exalted“ (Alle Tale macht hoch erhaben) dann im feinsten Belcanto, wortgenau, empathisch, lyrisch. Sein Konterpart ist Markus Simon (Langenzenn), der in Forchheim bereits mit Schuberts „Winterreise“ brillierte.

Dem Bassbariton gelingt es, mit großer Intensität das „Behold, I tell you a mystery“ (Vernehmt, ich künd’ ein Geheimnis an) im dritten Teil zu intonieren. Dann übernimmt der Trompeter Johannes Trunk von den Bamberger Symphonikern, der als einsamer Blechbläser das Jüngste Gericht ankündigt. Ihm zur Seite der Bassbariton mit einem „The trumpet shall sound“, das ob seiner ergreifenden Beseeltheit durch Mark und Bein geht. Das Ende steht im triumphalen D-Dur, majestätisch, in der Interpretation Joachim Adaczewskis jedoch taktvoll und dem Monumentalen abhold. Obwohl Händel sein Oratorium, das kurioserweise nur aus weit voneinander entfernten Bibelstellen zusammengesetzt ist, letztlich doch für den Konzertsaal konzipiert hat, erfasst Joachim Adamczewski den sakralen Charakter der Komposition.

Er dampft die sonst pompöse Ausgestaltung auf nur ein Dutzend Instrumente, darunter eine bescheidene Truhenorgel, ein, und macht gerade von den lautstarken Trompeten und Pauken nur äußerst sparsamen Gebrauch. So wird das Oratorium, selbst an seinen opernhaftesten Stellen, zu einem durchscheinenden Gewebe, das Einblicke in die Gedankenwelt Händels gibt.

Kontrast und Farbigkeit

Dabei wird nicht an Kontrast und Farbigkeit gespart, an dynamischer Differenzierung jenseits von forte und piano. Der Erlanger Chor „Vocanta“, der aus rund 60 Stimmen aus der Region besteht, nutzt die Gelegenheit, diese intime Atmosphäre zwischen barock-katholischer Pracht und protestantisch-puritanischer Strenge zu gestalten. Das entschädigt für das Auslassen der in italienischem Stil gehaltenen Duette.

Ebenso die instrumentalen Qualitäten, die im „And suddenly there was with the angel“ (Und alsobald war da bei dem Engel) in den Streichern die flatternden Engelsflügel gleichsam sichtbar werden lassen. Übrigens hat auch Judith Adamczewski, die Tochter des musikalischen Leiters, dabei einen unfreiwilligen Kurzauftritt. Für einen erkrankten Sängerknaben tritt sie aus dem Chor heraus und übernimmt das Rezitativ „There were shepherds“ (Es waren Hirten beisammen).

Weil der Schlussteil vom Ende aller Zeiten und dem ewigen Leben singt, fordert der „Messiah“ mehr als zwei Stunden des irdischen Lebens. Sie sind vergangen wie im Fluge.

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