Mauerscheißologie, nächster Teil

Ulrich Graser

Stv. Redaktionsleiter, Nordbayerische Nachrichten für Forchheim und Ebermannstadt

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7.1.2019, 20:00 Uhr
Mauerscheißologie, nächster Teil

© Foto: Huber

Ob die Figuren auf der Fachwerkfassade des Magistratsbaus nun Mauer-scheißer oder Mauern-scheißer heißen – für Dieter George ist diese Frage mehr als unerheblich. Der frühere Forchheimer Kulturbeauftragte ist Namenforscher. Sein Spezialgebiet: fränkische Ortsnamen. In diesem Zusammenhang hat er es, wie er in einem Gespräch mit unserer Redaktion sagte, auch häufig mit Spottnamen zu tun.

Meistens fanden die unmittelbaren Nachbarn Begriffe, mit denen sie die Bevölkerung eines Dorfes oder einer Stadt in ihrer Umgebung herabwürdigen wollten. Dazu bedienten sie sich, so der Forscher George, eines "topographisch signifikanten Merkmals, kombiniert mit einem derb-ordinären Ausdruck". Marketingexperten würden heute von einem "Alleinstellungsmerkmal" sprechen. Im Falle Forchheims käme im Zusammenhang mit dem Mauerscheißer aus Georges Sicht nur die Festungsmauer in Frage. Denn eine Stadtmauer, wie Forchheim sie seit dem Mittelalter hatte, umfing jede Stadt, war also keine herausragende Eigenschaft.

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© F.: Winckler

Und jetzt kommt’s: Der Magistratsbau mit seinen Darstellungen Notdurft verrichtender und Hintern zeigender Männer wurde bereits 1535 vollendet. Gut 100 Jahre ehe die Stadt im Dreißigjährigen Krieg bedrängt wurde. Hier kann es also keinen Zusammenhang geben, höchstens eine nachträglich konstruierte Interpretation.

Viel wahrscheinlicher, sagt Dieter George, der sich auch auf dem wissenschaftlichen Feld der Volkskunst auskennt, ist eine andere Deutung. Die Bloßstellung des nackten Gesäßes, direkt ins Auge des Betrachters, hatte vermutlich vor allem "abwehrenden Charakter". Abgewehrt werden sollten "böse Geister". An mittelalterlichen Kirchen sind fratzenhafte Gestalten häufig als Wasserspeier verbaut: Sie sollten das Böse draußen halten.

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© Fotos: Hans-Joachim Winckler

Am Rathaus sind zwei nackte, von den Händen ihres Besitzers aufgerissene Hintern zu sehen. Auf sie könnte dieser Aspekt zutreffen. Die alten Römer schützten ihren Privatbesitz ebenfalls mit drastischen Bildern: Ein erigierter Phallus, verbunden oft mit der schriftlichen Warnung an dieser Stelle nur ja nicht seine Notdurft oder anderen Unrat zu hinterlassen, sollte potenzielle Zudringlinge und Verschmutzer jeder Art fernhalten. Der Phallus deutete die zu erwartende Strafe eindeutig an.

Dieter George nennt als Beispiele anderer regionaler Spottnamen: die "Pflaster-Scheißer" von Erlangen, die "Bach-Brunzer" von Langensendelbach und die "Bach-Scheißer" von Weigelshofen. Die beiden Letzteren mussten sich so nennen lassen, weil durch ihren Ort eben ein Bach fließt. Im ersten Fall, erklärt George, neideten die Nachbarn den Hugenottenstädtern offenbar die gute Infrastruktur: In Erlangen waren sehr viele Pflastersteine verlegt.

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© Winckler

Der Bau der Forchheimer Festungsmauer, das Alleinstellungsmerkmal im großen Umkreis (weder Erlangen noch Bamberg hatten eine solche) wurde 1553 begonnen und zog sich bis zum Ende des 17. Jahrhunderts hin. Zur Zeit der (eher halbherzigen) Belagerungen der Stadt durch Truppen im Sold der Schweden, zwischen 1632 und 1634, standen nur die Bastionen beim Saltorturm und beim Amtsgericht. Außerdem etwas kleinere beim Nürnberger und beim Reuther Tor.

Im 19. Jahrhundert verlor die Festung an Bedeutung, genauso erging es dem Spottnamen, erklärt George. Seitdem der Ludwig-Donau-Main-Kanal haarscharf an der Stadt vorbeiführte, hatten die lieben Nachbarn einen neuen Namen parat, um ihre Zuneigung zu den Forchheimern auszudrücken: die "Kanalschlamper". Wie wäre es mit einem "Kanalschlamper-Fest"?

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Dieter George weist auch noch auf die am Rathaus angebrachte Figur hin, die sich einen Spiegel vorhält, während sie aus dem Hintern unter dem kurzen Rock deutlich sichtbar defäkiert: "Der Spiegel steht für die Schönheit, die Notdurft für die Vergänglichkeit alles Irdischen." Baumeister Hans Ruhalm habe damit in demütiger Haltung sagen wollen: "Entschuldigung, dass ich so etwas Schönes gemacht habe."

Als Vorsitzender des Heimatvereins rät Dieter George übrigens von der Namensgebung "Mauerscheißer-Fest" ab: "Die Originalität ist schnell verpufft." Und "vorteilhaft" für die Stadt sei der Name auch nicht. Die Stadtverwaltung will die Modalitäten der Bürgerbeteiligung nächste Woche bekannt geben.

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