Wenn Tote lebendig werden: Ein Blick über die Schultern der Archäologen in Forchheim

7.9.2020, 15:30 Uhr
Wenn Tote lebendig werden: Ein Blick über die Schultern der Archäologen in Forchheim

© Foto: Ralf Rödel

Knochen spitzen aus der Erde hervor. Mit seinem Werkzeug wagt sich Andreas Fischer weiter vor. Aus Zweifeln wird Gewissheit. Hier ist ein Mensch vergraben. Ein Skelett kommt zum Vorschein. Doch nicht nur das. "In der Hütte waren lauter kleine Knochen verteilt", erinnert sich Fischer. Und plötzlich steht das Knochengerüst auf – vor seinem geistigen Auge. Die unbekannte Person bekommt ein Gesicht. Ein längst vergangenes Leben wird lebendig. Eine Zeitreise startet.

Ob die Frau ihr Leben wegen einer Krankheit, eines Unfalls oder anderer Umstände verloren hat, kann der Archäologe aus dem Stegreif nicht beantworten. Sicher ist nur, dass ihr Kind nie das Licht der Welt erblickte und mit seiner Mutter verstarb. 

In den vergangenen Tagen hat Andreas Fischer mit Kollegen in Forchheim nach Zeugen der Vergangenheit gegraben. Der Skelettfund bleibt das vorläufige Highlight seiner bisherigen Laufbahn als Archäologe. Gefunden hat er die menschlichen Überreste damals bei einer Grabung neben einer Kirche. "Da ist es natürlich weniger überraschend, ein Skelett zu finden." Vor Jahrhunderten war es üblich, dass Tote in der Erde um eine Kirche begraben wurden. "Dass es aber eine schwangere Frau war, das war schon etwas Besonderes", sagt Fischer. Auch bei Grabungen rund um das Katharinaspital entdeckten Forscher vor mehreren Jahren menschliche Überreste. 

Wenn Tote lebendig werden: Ein Blick über die Schultern der Archäologen in Forchheim

© Foto: Ralf Rödel

Ein neues Kapitel der Stadt?

Im Norden der Stadt ist ein Grabungsteam an vier Tagen in der vergangenen Woche der Vergangenheit auf der Spur gewesen. Im Blick hatten die Archäologen die Erde unter den künftigen acht Tennisplätzen, die der Jahn nach seinem Umzug in den Stadtnorden dort unter anderem bauen will. Zuvor blicken die Experten in den Untergrund, auf der Suche nach einem vergangenen Teil Stadtgeschichte.

Ob zur bisherigen Stadtgeschichte ein weiteres, bisher unbekanntes Kapitel geschrieben wird, liegt daran, was im Untergrund schlummert und von den Schatzsuchern entdeckt wird. Dass die Chancen dafür nicht schlecht stehen, darauf verweisen die bisherigen Funde in der Umgebung des VfB-Geländes, sagt Grabungsleiter Florian Melzer. Zwei so genannte Bodendenkmäler, also Funde im Erdreich, sind einmal nördlich, östlich wie westlich des Sportgeländes ausgewiesen. Die bereits gesichteten Funde verweisen auf eine "Siedlung vor- und frühgeschichtlicher Zeitstellung".

Vor unserer Zeit: Hier haben Menschen gelebt

Das heißt nichts anderes, als dass dort schon einmal Menschen gelebt haben, der Zeitraum aber nicht einzugrenzen ist. "Es könnte zu jedem Zeitpunkt gewesen sein", sagt Andreas Büttner vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege. Der Grund liegt im Boden.

"Gerade im Raum Forchheim haben wir Probleme mit Funden, die sich zeitlich gut einordnen lassen, denn meist handelt es sich um Kleinteiliges." Winzige Keramiksplitter zum Beispiel. "Diese reichen nicht aus, um eine Datierung zuzulassen", sagt Büttner. Vor allem die intensive landwirtschaftliche Nutzung im Laufe der Jahrhunderte hat Verschollenes im Boden zerstört. Doch auch aus kleinsten Teilchen lässt sich Bedeutendes über die Vergangenheit der Stadt herausfinden. Teilweise muss die bisher bekannte Geschichte sogar neu geschrieben werden, wie das bei den Grabungen im Rathaus Forchheim der Fall war.

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© Foto: Ralf Rödel

"Wir haben etwas Verdächtiges"

Dennoch: "Wir haben hier etwas, das ist verdächtig", sagt Grabungsleiter Melzer. Vorarbeit geleistet hat ein Bagger mit seiner mächtigen Schaufel. Er hat die Grasnarbe und die oberste dunkle Humusschicht abgetragen. Gut 30 Zentimeter darunter kommt heller Sandboden zum Vorschein. Ab dieser Schicht wird es für die Zeitreisenden interessant.

Wenn Tote lebendig werden: Ein Blick über die Schultern der Archäologen in Forchheim

© Foto: Ralf Rödel

Mit einer üblichen Sandschaufel trägt Fischer die obersten Zentimeter ab, schafft eine ebene Fläche, um danach mit einem filigranen Abzieher die Sandoberfläche zu begradigen. Wo das Grabungsteam schon war, stecken Nägel mit rosa gefärbtem Kopf im Boden, begleitet von handschriftlich beschriebenen Zetteln, eingepackt in einer Folie. "Die Nägel sind an interessanten Stellen gesetzt", verrät Archäologe Melzer. In den Sand eingezeichnete Kreise und Linien lassen die Grabung wie einen Tatort aussehen.

Ein entscheidendes Indiz

Melzer zeigt auf kreisrunde, Teelicht große schwarze Verfärbungen im sandigen Boden. Ein entscheidendes Indiz. "Das spricht dafür, dass hier einmal Holzpfosten eines Hauses standen", sagt Melzer. Das Holz ist zwar längst verfault, übrig von diesem Prozess bleibt die Verfärbung im Boden. Zeigen sich die dunklen Kreise in einer Reihe, "ist die Möglichkeit groß, dass hier Häuser standen". Mit Farben verzierte Keramiksplitter, kaum größer als ein Fingernagel, scheinen die Vermutung zu bestätigen.

Wenn Tote lebendig werden: Ein Blick über die Schultern der Archäologen in Forchheim

© Foto: Ralf Rödel

Doch wie kommt die Keramik in den Boden? "Was heute der weggeschmissene Kaffee-To-Go-Becher ist, war damals ein Stück Keramik", bricht Andreas Fischer die komplexen Hintergründe von Funden herunter. Oder es könnten auch Überreste kaputter Keramik sein, die zum Verfüllen von Löchern genutzt wurde, sagt er.

Schwarze Spuren auf der Haut

Drei kohlschwarze Splitter, vom Laienauge kaum zu erkennen, liegen auf dem Boden. Zwischen den Fingern leicht hin- und her gerieben, zerbröseln die Stücke, hinterlassen schwarze Spuren auf der Haut.

Der Befund ist eindeutig: Kohle. Überreste einer frühzeitlichen Heizung – ein blankes Feuer – könnten das sein und damit ein Beweis für eine einstige Siedlung an dieser Stelle. Es könnte auch der Beweis sein, dass hier vor Tausenden von Jahren der Blitz eingeschlagen hat, erklärt Melzer.

"Haben Bäume daraufhin Feuer gefangen, hat der Baum unterirdisch bis in den Wurzelbereich geglüht." Wohl zu klein sind die Splitter, um hier abschließend Gewissheit zu haben. "Dass wir einen halb erhaltenen Topf finden, ist aber auch eher selten", sagt Fischer. "Gold und das Bernsteinzimmer haben wir auch noch nicht gefunden", lacht er. Das sind die häufigsten Fragen, die er als Archäologe oft zu hören bekommt.

Ein Kuchen verrät Details

Sie haben nicht nur den Umfang eines Kuchens, sondern sind auch so hoch wie das süße Gebäck – eben nur aus purem Sand: Aus dem Boden haben die Archäologen so genannte Schnitte geborgen, um sich ein Bild davon zu verschaffen, was sich unter der Oberfläche verdächtiger Stellen befindet.

Über vier Tage Grabungsarbeit sind über ein Dutzend Befunde fotografiert, dokumentiert und digital erfasst worden. Die Gruben und Pfostenfunde deuten auf menschliches Leben in der Neuzeit hin. In der Wissenschaft ist das die Zeit nach dem Mittelalter, ungefähr ab dem Jahr 1500.

Archäologen haben keine Zweifel

Noch sind es Vermutungen. Über die Grabungsergebnisse werden das Denkmalamt und der Verein informiert. Zweifel haben die mit der Schatzsuche beauftragten Archäologen aber keine: "In terra veritas" nennt sich die Bamberger Grabungsfirma – lateinisch für "In der Erde liegt die Wahrheit".

Hintergrund: Die Siedlung ist größer als bisher bekannt

Hinweise: Seit Anfang August waren Archäologen im Auftrag des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege in Forchheim-Nord im Einsatz. Sie haben rund um das VfB-Gelände den Boden nach Hinweisen ehemaliger menschlicher Siedlungen untersucht.

Auslöser: Ausgelöst haben die Grabungen die Baupläne des Jahn Forchheim. Westlich des VfB-Geländes sollen acht Tennisplätze entstehen. Hierfür werden die Bike- und Skate-Anlage, ein Bolzplatz, sowie der asphaltierte Weg, der am VfB-Heim vorbeiführt, aufgelöst. Weil der Jahn mit dem Bau der Plätze in den Boden eingreift, werfen Archäologen zuvor einen Blick unter den Boden, um mögliche Bodendenkmäler zu sichern.

Funde: Bereits 2016/2017 hat es für das benachbarte geplante Gewerbegebiet in Forchheim-Nord archäologische Voruntersuchungen gegeben. Die Funde dort haben darauf schließen lassen, dass in dem Gebiet einst Menschen gesiedelt haben. Die Artefakte reichen von der Steinzeit (etwa 5000 vor Christus) bis zum Übergang der Bronze- zur Eisenzeit (etwa 600 bis 500 vor Christus) zurück. Die Grabungsergebnisse der vergangenen Jahre haben die Archäologen optimistisch gestimmt, auch im künftigen Bereich der Tennisplätze fündig zu werden. Fest steht: Die Siedlung sei viel größer als bisher bekannt.

Mehrkosten: Für die Sportvereinigung Jahn Forchheim bedeuten die neusten Grabung Mehrkosten von rund 10.000 Euro. Das Prozedere ist gesetzlich klar geregelt: Bauvorhaben würden generell bei der Denkmalpflege angezeigt. Sie entscheidet über mögliche archäologische Untersuchungen.

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