„Alle weinen, so was habe ich noch nie erlebt“

9.1.2015, 11:42 Uhr
„Alle weinen, so was habe ich noch nie erlebt“

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Was darf Satire? Kurt Tucholsky soll diese Frage vor fast hundert Jahren mit nur einem Wort beantwortet haben. „Alles.“

Zeichner des Magazins Charlie Hebdo haben nun mit dem Leben dafür bezahlt, dass sie über viele Jahre mit spitzem Stift Kritik am radikalen Islamismus geübt haben. Einmal zeigten sie Mohammed nackt, ein andermal vergrub der Prophet auf einem Titelblatt den Kopf in den Händen und klagte verzweifelt: „Es ist hart, von Idioten geliebt zu werden“ – eine Anspielung auf extremistische Selbstmordattentäter.

Man hätte kein besseres Ziel wählen können, um Frankreich ins Herz zu treffen, sagt Pauline Mazenod, eine Französin, die in Fürth lebt. „Wir sind mit diesen Journalisten aufgewachsen, es ist, als hätte jeder Franzose ein Familienmitglied verloren.“ Tiefe Traurigkeit habe sie und viele andere erfasst. „Alle weinen. Sogar die Moderatoren im Radio und im Fernsehen. So etwas habe ich noch nie erlebt.“ Die getöteten Journalisten seien „das Symbol für Freiheit im Denken und im Ausdruck“ gewesen: „Sie stehen für alles, woran wir glauben.“

Auch Fürth ist Heimat preisgekrönter Satire. Hier lebt Stefan Sichermann, Herausgeber des beliebten Internetblogs „Der Postillon“. Einhunderttausend Menschen lesen täglich die fiktiven Nachrichten, die Sichermann über das Geschehen in Deutschland und der Welt verfasst.

Der Anschlag auf Charlie Hebdo hat auch die muslimische Gemeinde in Fürth bestürzt. Aydin Kaval findet klare Worte: „Diese Tat ist einfach widerlich.“ Der stellvertretende Vorsitzende des islamischen Kulturzentrums ditib meint damit das grausame Blutvergießen, aber auch die Tatsache, dass „Einzelne erneut eine ganze Religion in Misskredit bringen“. Dass er sich wieder wegen „einiger Fanatiker“ rechtfertigen müsse, schmerze ihn. Kaval, der für die SPD im Fürther Stadtrat sitzt, wird aber nicht müde zu betonen, dass die Täter in seinen Augen keine gläubigen Muslime sind. Der Koran, stellt er klar, verlange Frieden und Mitmenschlichkeit.

Wird das Attentat auch hierzulande jenen Nahrung geben, die Islam und Islamismus gleichsetzen und die Religion als Bedrohung wahrnehmen? „Es trägt sicher nicht dazu bei, dass wir uns näherkommen“, sagt Kaval vorsichtig. Dabei ist genau das sein Ziel: Für ditib hat der Deutsch-Türke bereits etliche Begegnungen zwischen Christen und Moslems organisiert. Kaval: „Wir dürfen jetzt nicht aufhören, aufeinander zuzugehen.“

Sein Appell fällt in Fürth auf fruchtbaren Boden. Der evangelische Dekan Jörg Sichelstiel und Oberbürgermeister Thomas Jung planen für diesen Montag, 15.30 Uhr, eine öffentliche Gesprächsrunde zu den Themen Presse-, Meinungs- und Religionsfreiheit – vermutlich im Lim-Haus. Mit dabei: Vertreter der israelitischen Kultusgemeinde, von ditib und den . Es geht darum, ein gemeinsames Zeichen zu setzen – für eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft.

 

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