App zur Bibel: "Luther waren moderne Medien wichtig"

07.11.2016, 11:00 Uhr
App zur Bibel:

© Foto: Hans Winckler

Herr Sichelstiel, haben Sie schon reingeschaut in die neu überarbeitete Lutherbibel?

Jörg Sichelstiel: Ja, wir haben schon einen ganzen Satz der Bücher für die Arbeit mit den Konfirmanden geliefert bekommen. Vor zwei Wochen hatte ich die erste Ausgabe in der Hand. Den Prozess des Entstehens habe ich auch schon verfolgt. In Fachzeitschriften gab es immer wieder Einblicke in die Werkstattarbeit. Ab sofort benutzen wir in der Gemeinde nur noch die Neuauflage.

Worin unterscheidet sich das neue Buch von der vorherigen Ausgabe?

Sichelstiel: Mir ist der Text nach wie vor sehr vertraut. An den Worten, dem Klang und dem Sprachrhythmus hat sich wenig geändert. Man muss sich daher eher fragen, was sich überhaupt verändert hat. So war das aber auch vorgesehen: Die 70 Experten, die die Neufassung gemeinsam erarbeitet haben, sollten ausdrücklich die lutherische Sprache aufleben lassen. Außerdem flossen aktuelle Aspekte der Bibelforschung mit ein.

War die Überarbeitung dann aus Ihrer Sicht überhaupt sinnvoll?

Sichelstiel: Auf jeden Fall. Ich bin ein großer Fan der Lutherbibel und froh darüber, dass die Sprache nicht vereinfacht oder modernisiert wurde, sondern sich explizit an der Luthers orientiert. Sie hat nämlich einen ganz eigenen Klang, auch wenn das Deutsch natürlich etwas altertümlich ist. Wir sind aber auch von klein auf geprägt von dieser Sprache, sie ist in gewisser Weise ja auch ein Stück unserer Kultur.

Zum Beispiel?

Sichelstiel: Die Weihnachtsgeschichte. Sie beginnt seit 1522 mit dem Satz: „Es begab sich aber zu der Zeit. . .“. Für mich wird in diesem Einstieg bereits die Poesie der Geschichte deutlich. Martin Luther hatte die große Gabe, geistliche Texte auch sprachlich entsprechend zu gestalten. Bei der Weihnachtsgeschichte macht er auf diese Weise deutlich, dass es sich um eine ganz bedeutsame Geschichte der Heiligen Schrift handelt. Dass seine Sprache manchmal sperrig-poetisch ist, macht für mich den besonderen Reiz aus.

Aber ist das denn heute noch verständlich?

Sichelstiel: Ich glaube schon. Schließlich ist etwa die Weihnachtsgeschichte fest in unserem Kulturgut verankert. Ich vermute aber, dass die Menschen verunsichert wären, wenn die Stelle plötzlich anders lauten würde. Dann würden sie sich vielleicht fragen, ob das noch die Weihnachtsgeschichte ist, die sie kennen.

Zum überarbeiteten Text ist nun auch die App „Lutherbibel 2017“ erschienen. Was halten Sie davon, sich der Heiligen Schrift online zu nähern?

Sichelstiel: Es ist doch sinnvoll, die modernen Medien von heute so zu nutzen. Zur Zeit Luthers waren die damaligen „modernen“ Medien auch sehr wichtig. Ohne den Buchdruck hätte es die Reformation nicht gegeben. Dank dieser riesigen Medienrevolution verbreiteten sich die Thesen in Windeseile, und die erste Übersetzung der Bibel musste gleich in die zweite Auflage.

Was raten Sie Menschen, die einen Zugang zur Bibel suchen?

Sichelstiel: Zum Lesen kann ich zum Beispiel das Markus-Evangelium empfehlen oder natürlich die Psalmen. Am meisten lohnt sich aber der Besuch eines Gottesdienstes am Sonntag. Dort wird seit jeher aus der Bibel gelesen — und die Auslegung gibt es gleich mit dazu.

12 Kommentare

coalhouse

Falsch, Herr Sichelstil. Luther wollte dem "Volk aufs Maul schauen" - also das genaue Gegenteil dessen, was die lutherische Amtskirche sich gerade leistet.

surprising

"Wer ist das heute in unserer Kirche?" Sprich: "Wer biedert sich nicht den Mächtigen an, wer redet "frei"...von allen Zwängen und Moden?
Denn: Selbst wenn nicht eindeutig nachweisbar ist, dass Luther "Hier stehe ich, ich kann nicht anders - Gott helfe mir!" gesagt hat ...seine Haltung war dieser Aussage entsprechend.

derUli

@Kirchenvorstand (zum Zweiten ...)
Ja, ich vermute, dass Luther heute nicht mal in die Nähe einer Kirchentür gelangen würde - andererseits waren zu seiner Zeit die Sitten auch etwas anders.

Und doch, es gibt Leute in den Kirchen, die ... nun, kein Blatt vor den Mund nehmen. Nur stößt das längst nicht mehr auf das gleiche Interesse wie damals, auch, weil 'Kirche' nicht mehr so unmittelbar das Leben (mit)-bestimmt.

Die Frage ist nicht so sehr, wer etwas zu sgen weiß, sondern eher, wer gehört wird - und warum. Oder eben, warum nicht.

derUli

OK, @Kirchenvorstand - dann haben wir, denke ich, doch eine Basis gefunden. Oder zumindest in erreichbarer Nähe geortet.

Klar ist: Viele Leute benötigen etwas Hilfe, um manche Inhalte zu verstehen (oh, da nehme ich mich gar nicht aus ...) und manche lehnen ab, weil ihnen das alles zu komplex erscheint.
Was ziemlich falsch ist, und beide Kirchen haben noch nicht wirklich herausgefunden, wie man da gegensteuert.
Obwohl es ja auch sehr gute Ansätze gibt (Stichwort 'City-Pastoral', niedrigschwellige Angebote), die nur leider nicht ausreichend ausgestattet sind.
So ein Angebot aber halte ich für wichtiger, als über den Wortlaut der Bibel zu diskutieren, und auch für effektiver.

'Volle Kirchen' sind schön und gut, aber 'aktive Gemeinden' halte ich für das wichtigere Ziel. Weil: Eine Heilige Messe, ein Gottesdienst, ist eine wunderbare Sache für Gläubige - eine Auszeit vom Alltag, Besinnung etcpp - aber einem Suchenden oder Zweifelnden nutzt das Ritual eher wenig.
Auch, weil es vielen ja gar nicht mehr so richtig verständlich ist.
Und das ist unabhängig vom Wortlaut der Bibel.

Kirchenvorstand

@der Uli hier noch ein Zitat aus dem aktuelle Spiegel "Ich bin kein Luther-Experte. Aber nach allem, was ich über den großen Reformator gelesen habe, konnte er ein ziemlicher Hitzkopf sein. Wahrscheinlich wäre ein Pilgerbruder Luther den deutschen Bischöfen heute so peinlich, dass sie ihn im Hotelzimmer einschließen würden. Von einem Mann, der seine Thesen an Kirchtüren genagelt haben soll, darf man alles erwarten..." wer ist das Heute in unserer Kirche?