Auf den Standpunkt kommt es an
4.4.2011, 13:00 UhrAuf den Standpunkt kommt es an. Was so mancher in Berlin oder Stuttgart beim täglichen Kurswechsel anscheinend vergessen hat, klappt in Fürth vorbildlich. Nicht zuletzt dank Oliver Boberg. Der renommierte Künstler öffnet mit seinem Beitrag zu „made in...“ die Augen für neue Ansichten.
Vier großformatige Rahmen hat er dafür in der Stadt positioniert: Am Ex-„Marktkauf“, beim Jüdischen Museum in der Königstraße, unweit des Haupteingangs der Stadthalle und nicht weit davon entfernt in der Weiherstraße. Welchen Standpunkt die Betrachter einnehmen werden, bleibt nicht dem Zufall überlassen. Den Platz, der die ideale Schau-Achse bietet, wird Oliver Boberg mit Farbe auf dem Boden markieren.
Ein Hauch von Tristesse
Vor einem halben Jahr begann für den 45-Jährigen die akribische Planung der Aktion. Mit Kamera und Bildbearbeitungsprogramm am PC hat er vorbereitet, was er zeigen will. Jetzt steht er in der Abenddämmerung vor dem Gebäudekomplex, in dem bis vergangenen Herbst der „Marktkauf“ stationiert war. Die leeren Räume hinter den Schaufenstern strömen einen Hauch von Trostlosigkeit aus, von der die Fahnenstangen, die sinnlos und leer von der uniformen Fassade abstehen, nicht ablenken können. Ein klassischer Boberg-Ort also. Denn es sind die Sündenfälle städtebaulicher Planlosigkeit, die zu seinem Themenkreis zählen und die sich in seinen Arbeiten immer wieder finden.
Für gewöhnlich jedoch sind solche Un-Orte in seinem Werk fiktiv und ungezählten Vorbildern nachempfunden. Die „Marktkauf“-Ecke ist erschütternd real — und gewinnt doch beim Blick durch den drei mal vier Meter großen, aus dem Inneren leuchtenden Rahmen aus Aluminium-Traversen eine verwirrend surreale Qualität. Das Haus-Stück im Ausschnitt erscheint plötzlich unwirklicher, das leer gefegte Schaufenster doppelt so leer. Eine ästhetische Qualität scheint auf, die zuvor wahrhaftig nicht zu erkennen war. Plötzlich liegt eine Kulisse vor dem Betrachter, in der alles passieren könnte. Oder auch nicht.
Natürlich, sagt Oliver Boberg, steckt Absicht in der Wahl genau dieses Ortes. Der Wunsch zu mahnen schwingt mit. Zum Beispiel vor Schnellschüssen, wenn es um eine neue Nutzung geht. Vor Entscheidungen, die auf lange Sicht nicht standhalten.
Mittlerweile ist es dunkel geworden. Ein tiefblauer Frühlingsnachthimmel spannt sich über Fürth, Boberg arbeitet konzentriert an der perfekten Licht-Inszenierung. Roland Bös, dessen Unternehmen für Veranstaltungstechnik Rahmen, Aufbau und Licht einrichtet, montiert Scheinwerfer, die die Szenerie in fahles bläuliches Mondlicht tauchen wird. Sieben Farbfolien probiert der Mann im Korb des Hubsteigers sorgfältig in luftiger Höhe aus, bevor er der Straßenlaterne noch rasch eine Abdeckung verpasst, damit kein störendes Licht dazuwischenfunkt. Dann ist die Beleuchtung perfekt.
Für Bös und Boberg wird die Nacht noch lang. Sorgfältig werden sie auch die drei anderen Rahmen einrichten. Am Jüdischen Museum gerät später ein zwiespältiges Stück Stadt in den Ausschnitt: „Man sieht eine Baulücke, die ein Stück historisches Fürth erkennen lässt. Wird hier gebaut, fällt das endgültig weg.“
Oliver Bobergs Rahmen werden bis zum 17. April in Fürth neue Standpunkte bestimmen. Garantiert aus dem Leben. Bei Tag und in der Nacht.