Babylon am Abgrund: Verliert Fürth einen Kultur-Hotspot?
12.10.2020, 21:00 UhrEs wäre ein harter Schlag für die Fürther Kulturszene – wenn das Babylon-Kino am Stadtpark demnächst seinen Pächter verlieren würde. Tatsächlich überlegt Betreiber Christian Ilg, das beliebte Programmkino aufzugeben. Das teilte er nun während einer Diskussion mit, die sich einem Thema widmete, das zurzeit viele umtreibt: Was macht die Pandemie mit unserer Kulturszene?
Ursprünglich hatte sich Ilg vorgenommen, das Babylon 2021 zu modernisieren: Klimaanlage, Barrierefreiheit, neue Technik – mit Hilfe von Förderprogrammen hätte das wohl gestemmt werden können. Dann aber kam die Corona-Krise, und der Umsatz brach ein.
Ja, man müsse damit rechnen, sagt Ilg, dass die Krise auch noch 2021 und 2022 das Geschäft belaste. Ungünstige Vorzeichen. Daher überlegt er nun, den Pachtvertrag, den er eigentlich Ende des Jahres verlängern wollte, im Sommer 2021 auslaufen zu lassen.
20 statt 90 Zuschauer
Wovon abhängt, ob er weitermacht? Am Verpächter der entgegenkommend sei, würde es keinesfalls scheitern, betont er. Vielmehr sind zwei andere Punkte ausschlaggebend: Zum einen stellt sich ihm die Frage, inwieweit Kinobetrieb unter Pandemieauflagen überhaupt "funktionieren" kann. In seinen Saal dürfen künftig nur 20 statt 90 Gäste.
Ob diese 20 überhaupt kommen werden? "Die nächsten sechs bis sieben Wochen sind entscheidend", sagt Ilg im Gespräch mit den FN. Denn zu dieser Jahreszeit geht die Kinosaison eigentlich los.
Zum anderen knüpft Ilg eine Pachtverlängerung daran, dass er im Sommer 2021 auf der Freilichtbühne wieder Open-Air-Kino veranstalten kann; hier ist Ilg mit der Stadt in Kontakt, die Entscheidung steht noch aus. Summa summarum: Ilg würde natürlich gern weitermachen. Aber: "Man braucht eine Perspektive."
Um die geht es vielen Kulturschaffenden derzeit. Das wurde deutlich bei der Diskussion in der "Diele" des Babylon-Kinos, zu der das evangelische Dekanat eingeladen hatte. Thema: Was macht die Corona-Pandemie mit unserer Kulturszene? Killt sie sie womöglich? "Kann gut sein", meint Ilg. Wie ihm geht es jedenfalls vielen Kulturschaffenden.
300 Euro im Monat
So erzählt beispielsweise Feuerartistin Anne Devries: "Ich trete viel auf Hochzeiten und Mittelalter-Festivals auf. Die wurden alle abgesagt, weil sich niemand mehr traut, und nur von einer einzigen Stelle habe ich ein Ausfallhonorar in halber Höhe bekommen."
Ähnlich bitter war es für Schauspiel-Urgestein Sigi Weckerle (6 auf Kraut). Er lebte die letzten Monate ausschließlich von staatlichen Corona-Hilfen: "3500 Euro für sechs Monate. Das war unendlich hart. Wir haben zwar im Sommer ab und zu vor 20 Leuten gespielt, aber das reicht nicht." Seine Prognose für den Winter: "300 Euro im Monat."
Auch für die städtischen Einrichtungen sieht es nicht gut aus: "Vom Stadttheater bis zum Archiv standen alle unter Schock", berichtet die stellvertretende Kulturreferentin, Karin Heinzler. "Vor allem die Stadthalle mit ihren Großveranstaltungen hat es mit über 60 Prozent Besuchereinbruch hart getroffen."
Als Reaktion auf die einsetzende Corona-Krise flüchtete die Kunst vor allem in zwei Richtungen: in Open-Air-Formate und ins Internet. Doch beides ist nicht für jeden geeignet. Eine Malerin braucht eine Galerie. Ein Feuerschlucker ein Live-Publikum. Ein klassisches Kammermusik-Trio einen kleinen Saal.
Wo sind bezahlbare Räume?
Die Suche nach geeigneten Spielorten ist ohnehin ein roter Faden, der sich durch den Diskussionsabend zieht. Denn nun naht auch noch der Winter, und die Kultur braucht dringend Räume.
"Irgendwo muss es doch Leerstände in der Stadt geben, die wir nutzen können", sagt Musiker Ferdinand Roscher. Hier bietet die evangelische Gemeinde ihre Hilfe an: "Räume haben wir viele, aber bezahlt müsste es natürlich werden."
Das zweite große Thema der Diskussionsrunde: Wie kann man das Überleben der Kultur finanzieren? "Nur wer wirtschaftlich abgesichert ist, hat auch die Kraft, Werke zu schaffen", ist Kulturamtsleiterin Gerti Köhn überzeugt. "Aber unsere bisherigen Förderprogramme zielten immer auf das fertige Werk, nicht auf den künstlerischen Prozess, der dahinter steckt."
Und der hat es in sich. Egal, ob Musiker oder Malerin: Die eigentliche Arbeit findet nicht im Konzert oder der Ausstellung statt, sondern vorher. Und das wird nicht bezahlt. "Früher habe ich acht Stunden am Tag geübt, jetzt sitze ich acht Stunden über Selbstvermarktung", berichtet Geigerin Miria Sailer.
Motor der Gesellschaft
Weil das Publikum vom Planen, Üben und Nachdenken nichts mitbekommt, herrscht oft Misstrauen: "Viele Menschen denken: Künstler tun nichts, wenn sie nicht auftreten", meint Feuerartist Marc Vogel.
Die Idee von offenen Ateliers, bei denen man Künstlern bei der Entwicklung ihrer Projekte zusehen kann, wird diskutiert. Auch die Frage nach einem bedingungslosen Grundeinkommen. Oder einem staatlichen Kurzarbeitergeld, bei dem Künstler einen Teil dessen erhalten, was sie vor der Krise erwirtschaftet haben.
"Künstlerinnen sind der Motor unserer Gesellschaft", sagt Gerti Köhn. "Sie halten unsere Demokratie am Laufen und entwickeln innovative Konzepte. Sie waren die Ersten, die Live-Streams machten oder Wander-Veranstaltungen vor Fenstern. Aber sie müssten es jetzt schaffen, sich besser zu vernetzen."
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