Beton lässt Fürth aufblühen

28.03.2013, 11:00 Uhr
Beton lässt Fürth aufblühen

© Thomas Scherer

Interessant ist es ja schon, dass es in Fürth zwar eine Frühlingstraße und eine Sommerstraße gibt, dem Herbst oder Winter dagegen nicht mal eine kleine Sackgasse gewidmet ist. Wer möchte da auch schon wohnen, wo es sowieso nach ungemütlich und trüb klingt? Und so hat sich der Mensch, also auch der Fürther, bei der Namensgebung seiner jeweiligen Heimat für das Positive entschieden. Wer könnte es ihm verdenken?

Beton lässt Fürth aufblühen

© Thomas Scherer

Der alphabetischen Reihe nach hören sich dann die Straßenbezeichnungen an wie Versprechen nie endender Idyllen: Am Grasgarten etwa, Am Grünerpark, Am Sonnenhof, An der Waldlust, Anemonenweg, Blumen- und Blütenstraße, Dahlienstraße, Enzianweg, Federgrasweg, Gartenstraße, Grüntalstraße, Hermann-Löns-Straße (ja, auch der gehört hier rein), Irisweg, Jasminweg, Kleeweg, Kornblumenstraße, Lilienstraße, Mohnweg, Orchideenstraße, Parkstraße, Rosenstockweg, Seerosenstraße, Teichstraße, Ulmenstraße, Veilchenweg, Wickenstraße usw.

Wer hier wohnen darf, der wacht auch bei Schmuddelwetter mit einem naturfrischen Lächeln auf und kein Tief kann ihm die Laune verhageln. Der Mensch scheint abhängig zu sein allein von dem Gefühl, das ein hell und heiter klingender Name ganz automatisch verspricht. Auch wenn sich in den positiv benannten Straßen dann eher öde Reihenhaussiedlungen der immer gleichen architektonischen Einfallslosigkeit befinden mögen – oder gerade deshalb?

Es kann schon sein, dass eine zumindest schön klingende Adresse ein wenig ablenkt von der tatsächlichen Tristesse. Das kleine Glück in den eng bemessenen und uniformen vier Wänden lässt sich womöglich am besten ertragen, wenn es „Am Sonnenhof“ oder gar „Am Sonnenhügel“ sprießt. Kein Wunder, dass sich in der letzten Zeit die auch in Fürth höchst umtriebige Immobilienbranche so etwas nicht zweimal sagen lässt.

Wenn man sich aktuelle Bauvorhaben ansieht oder zumindest die bunten Bautafeln liest, die sich über gähnenden Baugruben werbend erheben, dann scheinen wir bald den Himmel auf Erden zu haben. Denn ohne das Anpreisen einer in Grün und Ruhe strahlenden Zukunft geht gar nichts mehr. Hier werden nicht einfach Wohnblöcke in die Baulücken gemauert, hier geht es nicht um schnöde Siedlungen oder raumsparende Hochhäuser: hier wird an alle noch vorhandenen menschlichen Sinne des potenziellen Käufers oder Mieters appelliert.

Zum Beispiel: auf dem Tuchergelände, wo man soeben den alten Baumbestand und historische Gebäude mit rücksichtsloser Härte entfernt hat, entsteht nicht etwa – wie man angesichts des vorangegangenen Naturfrevels vermuten könnte – ein Betonghetto. Nein: ein „Wohnpalais Klassikgärten“ soll es sein, ein aus dem malträtierten Boden gestampftes Paradies, bei dem schon der Name allein so wohl sich ins Ohr schmiegt, dass alle vorherigen Untaten und Fällaktionen schnell vergessen werden. „Eingebettet in eine repräsentative Parkanlage, die an das Grün der Rednitzauen grenzt...“, frohlocken die Bauherren und kombinieren die „klassische Stadtwohnung“ wie selbstverständlich mit der Versicherung, dass „ausladende Terrassen und Loggien (...) den Bezug zur Parkanlage“ herstellen und „zum Verweilen“ einladen.

Mit „Gärten und Balkonen, die nach Süden gerichtet sind“, lockt das Projekt „Am Wolfsgarten“. An der Herrnstraße entsteht derzeit ein Mammutwohnblock, dessen Name derart die schönsten Sehnsüchte ankitzelt, dass es einem ganz japanisch zumute werden könnte: Auf dem ehemaligen Gelände der Kunstanstalt Krugmann wird es nicht etwa nur profane „Herrnhöfe“ geben, es werden „Kirschblütenhöfe“ entstehen, deren filigraner Duft sich über die gesamte Südstadt betörend ausbreiten wird.

Überhaupt: Es geht nicht mehr ohne Landschaft im Urbanen. Dem legendären Hersteller elektronischer Unterhaltungsmedien wird mit dem „Max-Grundig-Park“ ein naturverbundenes Wohn-Denkmal gesetzt. Im „grünen Herzen“ von Fürth werden „Logen Gärten“ gebaut – und sind doch nur ganz normale Eigentumswohnungen.

In Burgfarrnbach tut man es nicht unter einem „Wohnpark Am Feld“, in Oberfürberg errichtet man „Stadtwald Gärten“. Im Eigenen Heim wird ebenso ein „Wohnpark“ angekündigt, wie in der Südstadt die „Fichtenhöfe in Verbindung mit viel Grün und Natur“ für gutes Wohngewissen sorgen. Anderswo heißen die Zauberwörter „Lindengärten“ oder „Park Carrée“ oder „Auengarten“.

Nur wenige dieser Projekte befinden sich dort, wo die ungestörte Natur zuhause ist: vor den Toren der Stadt. Die größere Zahl breitet sich zumindest in City-Nähe aus und suggeriert, dass eine irgendwie ökologisch angehauchte Lebensweise auch dort möglich ist, wo Fürth nur aus Häusern und geteerten oder gepflasterten Straßen besteht, die nur ein paar dreckresistente Bäumchen zieren.

Der Drang danach, alles auf einmal haben zu können, treibt dann so werbewirksame Stilblüten, wie sie sich in einem Slogan zusammenfassen lassen: „Idyllische und prächtige Blütenoase in immer sommerhaftem Flair mit garantierter Parkruhe, Gartenpracht und täglich frischem Tannenduft, nur wenige Autominuten von der nächsten Schnellstraßenauffahrt entfernt. Tiefgarage und Innenstadtlage!“

Einst schnatterten auf dem „Gänsberg“ die Gänse. Am Obstmarkt gab es Obst. Im Stillen Winkel war das Altenheim. Die Forsthausstraße lag im Wald und An der Waldschänke gab es was zu Trinken. Den Heckenweg säumten Hecken und in der Industriestraße wollte man nicht wohnen. Am Kohlenmarkt gab es Kohlen und der Löwenplatz hieß nicht etwa so, weil sich da ein zoologischer Garten befand, sondern weil es dort ein Wirtshaus „Zum goldenen Löwen“ gab.

Die zwei „Fischer“-Straßen befanden sich in Flussnähe und am „Schießplatz“ krachten die Büchsen. Am „Waagplatz“ wurde gewogen und in der Theaterstraße früher mal Komödie gespielt. Irgendwie wusste man damals besser, wo man sich befand, wenn man das Straßenschild las oder die Bezeichnung studierte: niemand anders als die Frau Catharina van Lierd wohnte im Fravelierhof und der Schröder im Schrödershof.

Freilich: in der dunklen Blumenstraße auf ein paar Blüten zu treffen, war nicht ganz einfach. Und im „Pfarrgarten“ verkehrte schon lange kein Priester mehr. Aber im Vorfrühling (ja, den gab es da noch) im Zaunkönigweg – da war vielleicht ein „Vogelsang“! Und heute? Da warten wir in unseren dunklen Hinterhöfen auf die Kirschblüte...

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