Cheerleading: Harter Sport und hartnäckige Vorurteile
6.7.2017, 10:00 Uhr"Five, Six, Seven, Eight!", schreit das Mädchen im grün-blauen Turn-Outfit. Anfangs noch etwas wackelig steht es auf den haltenden Händen seiner Teamkolleginnen und Teamkollegen. Als das "Eight" – die Acht – ertönt, wird es in die Luft geschleudert, dreht sich elegant um die eigene Achse und landet wieder in den Armen der übrigen Cheerleader. Man muss uneingeschränktes Vertrauen zu seinen Teamkollegen haben, um sich an solche Manöver zu wagen. In kaum einer anderen Sportart liegt die eigene Gesundheit derart in den Händen von anderen.
Cheerleading ist eine Frauendomäne. Zumindest glauben das viele und haben sofort Bilder von knapp bekleideten Mädchen im Kopf, die einer Männersportmannschaft zujubeln. Die Akrobatik, so das Vorurteil, dient nur dazu, die Zuschauer zu unterhalten. Es steckt aber weit mehr dahinter, erklärt Hertha Schmitt-Linz. Als Abteilungsleiterin der Chearleading-Gruppe "Farrnbach Shamrocks" muss die 63-Jährige es wissen. Seit 2008 gibt es das Team aus Burgfarrnbach bereits.
Existiert es nur, um anderen zuzujubeln? "Man jubelt nicht zu, man feuert an.", stellt Schmitt-Linz richtig. Für sie geht Cheerleading über bloße Unterhaltung hinaus: "Es ist auf jeden Fall eine Show, schließlich muss und will man die Leute auch in den Bann ziehen. Aber es ist auf jeden Fall auch Sport, die Mädchen trainieren ja dreimal die Woche". Dazu kommt dass die Farrnbach Shamrocks mehrmals im Jahr an Meisterschaften teilnehmen, um sich mit anderen Teams zu messen.
Beeindruckende Saltos
Auftritte auf Sportevents oder Vereinsfeiern werden genutzt, um sich das akrobatische Anfeuern finanzieren zu können. An diesem Tag treten die "Farrnbach Shamrocks" beim Sommerfest einer politischen Partei in Seukendorf auf. Und sie heben schnell die Stimmung. Während dem Musik-Alleinunterhalter kaum Aufmerksamkeit gewidmet wird, füllt sich der Platz beim Auftritt der Cheerleader-Gruppe.
Von den kleinen Unsicherheiten beim Aufwärmen ist nichts mehr zu sehen, souverän landen die Mädchen und Jungs Sprung um Sprung, bilden eine Pyramide nach der anderen. Vor allem die Salto-Einlagen beeindrucken das Publikum. Auf dem Asphalt-Untergrund muss jede Aktion perfekt einstudiert sein, jede Bewegung stimmen. Aufgeregt wirkt das Team nicht.
Nervös sei man eher bei Meisterschaften, wenn man vor richtig vielen Menschen stehe, erklärt die 13 Jahre alte Kim Kuhn, die seit sieben Jahren bei den Shamrocks aktiv ist. Angst bei riskanten Sprüngen kennt sie nicht, schließlich trainiert man ja nicht umsonst. "Nicht viel nachdenken" ist ihr Tipp, denn wenn man das tue, verletze man sich leichter. Klingt zumindest in der Theorie einfach. Spricht man mit den übrigen Team-Mitgliedern, zeigt sich ein ähnliches Bild: Teamfähigkeit, Vertrauen und Motivation stehen über allem.
Die Ersatzspieler feuerten an
54 Mädchen kommen bei den Shamrocks auf immerhin sechs Jungs. Ist Cheerleading also doch weitestgehend Frauensache? Viele wüssten gar nicht, dass das früher ein kompletter Männersport war. In den USA schlossen sich nämlich ursprünglich die Ersatzspieler zusammen, um die eigene Mannschaft anzufeuern, erklärt Kai Unger. Der 16-Jährige ist einer von zwei Jungen in seiner Altersklasse. Kritik für sein Hobby muss er von seinen Freunden, wenn überhaupt eher aus Spaß einstecken. Vor allem von den Mädchen bekommt er viel Zuspruch.
Wenn die beiden Jungen beim Auftritt ein ums andere Mal ihre Kolleginnen aus großer Höhe sicher auffangen, wirken sie sowieso unabdingbar für das Team. In den Vereinigten Staaten sei der Männeranteil in den Cheerleader-Truppen generell deutlich höher, erklärt Hertha Schmitt-Linz. Und von dort könne man sowieso noch einiges lernen. "In Amerika ist das eine gewachsene Sportart mit festen Regeln. So weit ist man in Deutschland noch lange nicht."
Als 2015 die Cheerleading-Weltmeisterschaft in Berlin stattfand, hat man selbst in der Hauptstadt nicht viel davon mitbekommen, auch im Fernsehen wurde nichts übertragen. Davon, dass die Sportart in Deutschland noch populärer werden wird, ist man bei den Shamrocks aber überzeugt. Zunächst müsse eine Basis geschaffen werden, und da stoße Cheerleading vielleicht auch auf ein Verständnisproblem, meint die Abteilungsleiterin.
Nur eine "Fleischbeschau"?
Manche Väter oder Familien wollten ihre Töchter nicht als Teil einer – wie sie es nennt – "Fleischbeschau" sehen. Der Sport hinter den manchmal tatsächlich etwas knappen Kostümen werde oft übersehen. Denn Cheerleading will viel mehr als Entertainment sein. Es verwischt die Grenzen zwischen Sport und Unterhaltung.
Nach dem Ende der Performance des Teams verliert sich die Aufmerksamkeit der Gäste auf dem Sommerfest in Seukendorf wieder in vielen kleinen Unterhaltungen. Dass der Musiker wieder angefangen hat zu spielen, wird von den meisten wohl eher unterbewusst wahrgenommen. Die Risikobereitschaft der "Farrnbach Shamrocks" hat sich indes bezahlt gemacht. Denn ihnen hat fast jeder zugeschaut.
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