Corona und häusliche Gewalt: Zuhause mit dem Peiniger
27.4.2020, 11:00 UhrDort, wo es Gewalt gibt, wird sie jetzt schlimmer – diese Sorge teilen Politiker, Polizisten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen weltweit. Und sie ahnen: Sie bekommen davon noch weniger mit als sonst.
Denn überall dort, wo es wegen der Corona-Pandemie Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen gibt, fallen jetzt Menschen weg, die die Aggressionsspirale stoppen könnten. "Erfahrungsgemäß rufen ja nicht immer die Frauen selbst die Polizei", sagt Eva Göttlein, Vorsitzende des Trägervereins des Fürther Frauenhauses, "sondern oft die Kinder, Nachbarn oder Freunde." Letztere aber sind in dieser Ausnahmezeit nicht mehr nah dran an den Betroffenen.
Genauso fehlen die Schulen und Kitas und damit die Vertrauenspersonen, denen ein blauer Fleck, ein verstörtes Kind auffallen könnte. "Was uns umtreibt, ist, dass Kinder, die zuhause physischer, psychischer oder sexueller Gewalt ausgesetzt sind, den Tätern und Täterinnen momentan schutzlos ausgeliefert sind", sagt Göttlein.
Wer daheim Gewalt erlebt, durch den Partner, den Bruder oder die Eltern, kann sich ihr zurzeit auch schlechter entziehen, steht teils rund um die Uhr unter Kontrolle. Heimlich zu telefonieren, ist schwieriger geworden. Hilfsorganisationen von Terre des Femmes bis zum Weißen Ring erfüllt das mit großer Sorge. In Italien, Frankreich und Spanien etwa versuchen Helfer inzwischen, die Frauen dort zu erreichen, wo sie noch hingehen: in Supermärkten. Schilder weisen auf Notrufnummern hin, mancherorts wird das Kassenpersonal geschult, auf Verletzungen und Auffälligkeiten zu reagieren. Und ein Codewort wird in den Geschäften und Apotheken bekannt gemacht: "Maske 19" – die Bitte, Behörden zu verständigen.
Frauen müssen wissen, dass das Hilfesystem auch in der Corona-Krise funktioniert, sagt Eva Göttlein. "Man darf das Haus verlassen, um Hilfe zu holen oder zur Polizei zu gehen. Die Polizei kommt auch ins Haus. Daran hat sich nichts geändert." Das Fürther Frauenhaus ist ebenfalls weiter Tag und Nacht erreichbar. Die dazugehörige Beratungsstelle unterstützt nun vor allem telefonisch. Aber auch persönliche Treffen sind bei Bedarf möglich.
Einig sind sich Experten darin: Die größere Nähe im häuslichen Bereich kann derzeit Konflikte in den eigenen vier Wänden verstärken. Homeoffice, Homeschooling, Kinderbetreuung sind zu leisten, dazu wird in manchen Familien wegen Kurzarbeit oder Jobverlust das Geld knapp, Existenzängste kommen auf.
Familienberatung: Die Nöte werden jetzt am Telefon gelindert
Wichtig aber ist es Göttlein, zu unterscheiden: In manchen Familien eskalieren Streitigkeiten. Das sei jedoch nicht gleichzusetzen mit häuslicher Gewalt. Die Anlaufstellen sind andere. Häusliche Gewalt sei ein Prozess mit einer spezifischen Dynamik und einem langen Vorlauf, erklärt Göttlein, sie hat langfristige psychische und soziale Konsequenzen für die Frauen und Kinder und erfordere speziell geschultes Personal.
Hotline registriert mehr Anrufe
Noch sind die Folgen der Ausgangsbeschränkungen schwer zu fassen. Weil Fälle von häuslicher Gewalt oft erst mit Verspätung angezeigt werden, wird es dauern, bis belastbare Zahlen vorliegen. Während Berlin mehr Fälle als vor einem Jahr verzeichnet, ist andernorts noch kein Anstieg zu erkennen. Beim Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" haben die Anrufe zugenommen. Andere Beratungsstellen beobachten, dass es weniger Anrufe und mehr Textnachrichten gibt. Im chinesischen Wuhan registrierten Helfer in der Quarantänezeit dreimal so viele Opfer wie sonst. "Wir können es in Fürth noch nicht seriös einschätzen", sagt Göttlein, sie rechnet damit, dass sich die Zunahme zeitversetzt zeigen wird.
Sie rät dazu, sofort die Polizei zu rufen, wenn eine Situation eskaliert. Die Beamten können deeskalieren und ein Kontaktverbot – derzeit für vier statt zwei Wochen – aussprechen. "Damit wird erst einmal eine Bremse reingemacht", weitere Schritte können überlegt werden. Betroffene werden im Rahmen des polizeilichen Einsatzes auch gefragt, ob ihre Daten an die Interventionsstelle des Frauenhauses weitergegeben werden dürfen, die Hilfe anbietet. Ziel sei es immer, so Göttlein, dass die Frau in der Wohnung bleiben kann und der Täter verwiesen wird. Die Stadt Fürth unterstütze Männer bei der Suche nach einer Unterkunft.
Frauenhäuser sind chronisch überlastet
Was in der Krise nicht zu übersehen ist: Frauenhäuser sind in Deutschland chronisch überlastet, seit langem beklagen Experten, dass Tausende Plätze fehlen. Auch das Fürther Haus mit fünf Plätzen ist voll belegt. Aufgenommen werden derzeit nur Frauen (und ihre Kinder) aus Stadt und Landkreis Fürth mit hoher Gefährdungseinschätzung, sagt Göttlein. Die Betroffenen sollen sich in jedem Fall melden – für sie werden sichere Unterkünfte gefunden.
Gewalt kann momentan besser verborgen werden. Experten empfehlen Nachbarn, wachsam zu sein. Wer Gewalt nebenan befürchtet, kann sich auch selbst bei einem Frauennotruf melden. Das bundesweite Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" ist erreichbar unter Tel. 08000 116 016, die Onlineberatung unter www.hilfetelefon.de.
Das Fürther Frauenhaus, zuständig für die Stadt und den Landkreis Fürth, ist rund um die Uhr erreichbar unter Tel. (0911) 72 90 08. Es wird ergänzt durch die Beratungsstelle in der Frankenstraße 12, deren pädagogisches Team Betroffene, aber auch Angehörige oder Freunde kostenlos, vertraulich und auf Wunsch anonym bei Fragen rund um häusliche Gewalt und Stalking berät, bei Bedarf mit Dolmetscherinnen. Auch Begleitung, etwa bei Behördengängen, wird angeboten. Ab Mai gibt es zudem eine mobile Beratung in allen Gemeinden des Landkreises. Kontakt in Fürth: Tel (0911) 130 90 506 (Mo. 11-13, Di. 9-12, Mi. 15-17 Uhr). Im Landkreis: Tel. 0179-266 13 66 (Mi. 9.30-11.30, Do. 15-17, 11-13 Uhr).
Wenn Gewalt eskaliert, sollte man sofort über den Notruf 110 die Polizei rufen. Sie kann deeskalieren und ein Kontaktverbot aussprechen. Bei Verletzungen sollte man unbedingt zum Arzt gehen.
Die Polizei hat auf ihrer Internetseite www.polizei.bayern.de/mittelfranken anlässlich der Corona-Krise Tipps für Konfliktsituationen im familiären Umfeld zusammengestellt. Unter anderem empfiehlt sie, ein Signalwort festzulegen, mit dem eine Eskalationsspirale unterbrochen wird.
Gewalt ist immer Unrecht, betont die Polizei, sie zerstört die Grundlage für menschliches Zusammenleben. "Bei häuslicher Gewalt werden häufig zuerst Sachen beschädigt. Danach erfolgen Handgreiflichkeiten und schließlich kommt es zu ernsthaften Verletzungen", heißt es. Die Experten raten, die Spirale früh zu stoppen: durch klare Ansagen, einen Ortswechsel oder die Einbindung von Nachbarn oder anderen Personen: "Opfer sind stärker, als sie glauben."
Häusliche Gewalt trifft überwiegend Frauen und Kinder, manchmal aber auch Männer. Sie finden Hilfe unter Tel. 0800 123 99 00, www.maennerhilfetelefon.de
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