Der Minister mit dem Heiligenschein
27.2.2011, 10:00 UhrDer Fürther Psychologe Martin Horn (62) meint, dass man Guttenberg nur genau zuhören müsse, um zu erkennen, wie geschickt er in die „rhetorische Trickkiste“ greift und so die Massen manipuliert. „Er redet ja von seinen Fehlern, als ob er Durchfall hätte. Er wiederholt den Begriff ,Fehler‘ zigmal, räumt aber inhaltlich nur ein, was nachgewiesen ist, gibt keinen Fehler von sich aus zu.“ Durch die Wortwiederholung, ist Horn überzeugt, gelinge es Guttenberg, als reuiger Sünder dazustehen. „Und das schafft Sympathie.“
Der Minister sei ein Meister darin, in die Opferrolle zu schlüpfen, etwa wenn er den „Familienvater“ bemüht, der es angesichts einer Mehrfachbelastung als Politiker, Privatmann und Wissenschaftler nicht geschafft habe, all die winzigen Fußnoten korrekt zu platzieren. „Der arme Familienvater, das stiftet Identifikation“, sagt Horn. Da könne sich auch jeder hineinversetzen, der daheim beim Windelwechseln hilft. Nur dürfte das nicht der Alltag eines Freiherrn sein. Und: Es habe nichts mit dem Vergehen zu tun, dem mutmaßlichen Diebstahl geistigen Eigentums.
Als langjähriger Erziehungsberater findet Horn es schlimm, „wenn Menschen wie Guttenberg oder Berlusconi Vorbilder unserer Kinder sind.“ Horn sieht „Parallelen“ zwischen dem deutschen Minister und dem italienischen Ministerpräsidenten. Der sei auch eine Projektionsfläche für das Volk, als berüchtigter Schürzenjäger zumindest für „die Träume vieler Männer“.
Norbert Schikora (59), Fraktionschef der Grünen im Kreistag und dritter Bürgermeister von Oberasbach, ist Magister der Philosophie. Am Fall Guttenberg entdeckt er einen Wertewandel. Werte wie Vertrauen und Wahrhaftigkeit, die auch Guttenberg gern betont, sinken, urteilt Schikora. Der neue Wert der Leistungsgesellschaft heiße Pragmatismus. „Die Menschen fühlen sich unter Druck, also suchen sie Auswege und flüchten sich, um allen Ansprüchen gerecht zu werden, zum Beispiel in die Funktion ,Copy and Paste‘.“ Der kleine Mann, meint Schikora, „wurstelt sich da genauso durch wie der Minister“.
An Guttenberg wird laut Schikora noch mehr deutlich: „Unser Wirtschaftssystem ist der Kapitalismus, und Kapitalismus bedeutet Krieg und Kampf. Kampf um Arbeitsplätze, Kampf um den Kunden... Die Waffen dieses Systems, in dem niemand moralisch-ethisch handeln kann, sind Lug und Trug und Trick und Täuschung.“ In diesem Sinne sei Guttenberg eine Identifikationsfigur, ein „Leuchtturm im negativen Sinne“.
Für Fürths evangelischen Dekan Jörg Sichelstiel offenbart die Debatte um Guttenberg nicht nur ein „großes Bedürfnis unserer Gesellschaft nach Identifikationsfiguren mit Stil, zu denen man aufblicken kann“. Ihm macht auch Sorge, „wie leicht man verführbar ist“. Denn: „Ein Westerwelle wäre längst weg vom Fenster. Aber ein von und zu Guttenberg, der hält sich.“ Sichelstiel hat den politischen Senkrechtstarter live erlebt, beim Neujahrsempfang der CSU in Fürth. „Er kann so reden“, sagt der Dekan, „dass sich jeder persönlich angesprochen fühlt, auch wenn er inhaltlich nur Allgemeinplätze von sich gibt.“ Guttenberg umgebe „eine Art Heiligenschein, der ihn unangreifbar macht. Er ist wie ein Idol, wie ein Popstar, von dem bekannt wird, dass er Drogen nimmt. Sowas verzeiht man Stars, schon deshalb, weil es Menschen schwer fällt, sich von etwas abzuwenden, das sie bewundern.“ Sichelstiel selbst hätte einen Rücktritt Guttenbergs „aufrichtiger“ gefunden. Er bewundert daher Margot Käßmanns Schritt im Februar 2010 mehr denn je. Die EKD-Ratsvorsitzende hatte ihr Amt nach einer Trunkenheitsfahrt zügig zurückgegeben.
Dr.Richard Sohn, ärztlicher Psychotherapeut aus Fürth, hält Guttenberg für das „Vorbild, das den Menschen nahe steht“. Adels- und Doktortitel entsprächen zwar dem „Wunsch nach einer Galionsfigur“. Doch zu der bestehe eine große Distanz. An der Front zu übernachten, neben deutschen Soldaten zu schlafen, mag eine clevere PR-Strategie sein, „doch das schafft Nähe“. Und Guttenbergs „Hin- und Herlavieren“ schließlich nach dem Auffliegen der Plagiatsaffäre sei für viele Menschen eine „echte Entlastung.“ Denn spätestens da habe der Normalbürger gespürt: „Auch so ein toller Mensch kriegt das nicht besser hin als ich.“
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