Die Begrenzungen des Lebens
16.6.2008, 00:00 UhrNachdem er der Kunstkiste von molitor & kuzin entstiegen war, sagte ein Besucher: «Ich habe zum ersten Mal begriffen, was das Wort ,Zeitspirale‘ bedeutet.» Gefangen sein in der Zeit; gehetzt sein, weil die Zeiger der Uhren wieder einmal weltmeisterlich rasen; der verrinnenden Zeit hilflos zusehen - dies alles thematisiert die Arbeit des niedersächsisch-ukrainischen Paares, das unter dem Künstlernamen molitor & kuzmin seit 1996 zusammenarbeitet.
Die Container-Innenfläche ist nahezu vollständig ausgefüllt mit sechs schräg gegeneinander gestellten Holzkisten. In jeder Kiste dreht sich, von scheinbar geheimnisvollen Kräften angetrieben, eine Scheibe, auf der, blau ausgeleuchtet, in Schreibschrift das Wort «Zeit» prangt. Die «Zeit» wirbelt unaufhörlich. Das Rad der Zeit, unendlich dreht es sich. Und dennoch träumen molitor & kuzmin den Traum der Menschheit. Wie schön und tröstlich wäre es doch, die kostbare Zeit aufzubewahren, bis der Tag kommt, an dem der Gestresste und vom Leben Durchgeprügelte wieder eine gute Portion davon vertragen könnte. Die Zeit bannen und sie transportierbar machen, stapelbar vielleicht im heimischen Kartoffelkeller - das symbolisieren die Holzkisten.
Wie Slalomstangen
Zum ästhetischen Vergnügen der - auch handwerklich blitzsauberen - Arbeit gesellt sich das Irritationsmoment. Weiße Balken vom Containerboden bis zur Decke stehen wie Slalomstangen zwischen den Kisten. Für das Künstlerpaar sind sie in der Summe wie jener Strichcode, den jeder von seinem Supermarkteinkauf kennt. Sie begrenzen den Raum und teilen die Zeit ein. Das Gesamt-Kunstwerk wird zum Zeitcode.
Und der künstliche Nebel? Er verunklart die Sicht des Besuchers. Die hinteren Kisten und Balken verschwimmen. So bleibt die Zeit doch nur ein allzu flüchtiges Ereignis, wie Schall und Rauch.
Fassbar ist sie nicht, auch nicht in der größten Kiste. Wer’s nicht glauben mag, gehe zum Bahnhofplatz. So viel Zeit muss sein. mab
Bahnhofplatz, täglich 11-20 Uhr.