Die Rückkehr eines Vergessenen
9.10.2012, 19:00 UhrNehmen wir nur einmal ein paar Namen: der französische Komponist Fromental Halévy, Sohn eines aus Fürth ausgewanderten Juden, schuf die große Oper „Die Jüdin“, die in Paris ein Riesenerfolg wurde. Im literarischen Salon des aus Fürth stammenden Juristen Max Bernstein lernte in München Thomas Mann seine Frau Katja kennen.
Einen der erfolgreichsten Romane des 20. Jahrhunderts, „Der Tunnel“, schrieb der aus der ehemaligen Julienstraße stammende Bernhard Kellermann. Leopold Ullstein war „Ladenschwengel“, wie das damals hieß, in Fürth, bevor er eines der bedeutendsten Verlagshäuser in Berlin gründete. Sogar sein Konkurrent Samuel Fischer hat Fürther Wurzeln: Seine Vorfahren wanderten von Fürth nach Ungarn aus, wo Samuel geboren wurde; er sollte später den renommierten S. Fischer Verlag gründen, in dem wiederum Jakob Wassermann, aufgewachsen in der Fürther Blumenstraße, seine Erfolgsromane veröffentlichte...
Mehr oder weniger bekannte Beispiele ließen sich weiter aufzählen — und es tauchen immer wieder neue, ganz erstaunliche auf. Wie dieses: Im Jahr 1900 wurde in Fürth Jakob Schönberg geboren, der als Komponist wirkte und 1956 in den Vereinigten Staaten starb. Sein übersichtliches Werk ist bis heute nur ausgesprochenen Musikkennern bekannt.
Dass er ein Großneffe des revolutionären Zwölftöners Arnold Schönberg war, ist bei dieser Geschichte, die es hier zu erzählen gilt, „nur“ ein weiteres Bonmot — doch es passt so recht zu dem Reigen der Personen, die entfernt oder konkret etwas mit Fürth zu tun hatten, ihre großen Erfolge aber erst feiern konnten, nachdem sie die Stadt verlassen hatten.
Jakob Schönberg also war der Sohn eines Kantors, der in der Claus-Synagoge in Fürth wirkte. Die Familie wohnte zunächst in der Hirschenstraße 19, später in der Blumenstraße 24 — zwei Adressen, die die orthodoxe Ausrichtung des Elternhauses deutlich machen. Früh erkannte der Vater die musikalische Begabung Jakobs, der schon im Alter von fünf Jahren Klavierstunden erhielt.
Von 1906 bis 1916 besuchte er die Israelitische Realschule in Fürth, kam dann an die Oberrealschule in Nürnberg, später an die Technische Hochschule in Darmstadt und an die Berliner Universität. 1925 promovierte Jakob Schönberg an der Universität in Erlangen. Während der Weimarer Republik verdiente sich Schönberg seinen Lebensunterhalt als Pianist, Musikkritiker, Dirigent und Komponist.
In einer biografischen Notiz der „Library of The Jewish Theological Seminary“ wird darauf hingewiesen, dass Schönbergs frühe Werke durchaus eine „orientalische Melodik“ kennzeichnet, andere Kritiker sprachen damals schon genauer von konkreten jüdischen Einflüssen. Wie dem auch sei, ab dem Jahr 1933 war für derartige Musik in Deutschland kein Platz mehr: Schönberg verlor seine Arbeits- und Auftragsgeber im nationalsozialistischen Land.
Der russisch-jüdische, in Deutschland lebende Pianist und Musikwissenschaftler Jascha Nemtsov hat sich intensiv mit Leben und Werk Schönbergs auseinandergesetzt und konnte sogar in amerikanischen Archiven versprengte Teile von Schönbergs Nachlass aufspüren. Er schreibt: „Schönberg ging nach Berlin, wo er Musikkritiker der zionistischen Zeitung Jüdische Rundschau wurde. In den folgenden Jahren versuchte er nach dem Vorbild der Neuen Jüdischen Schule zu einem dezidiert jüdischen Stil in seinem Schaffen zu finden. Er stützte sich dabei vornehmlich auf die neue Musikfolklore der palästinensischen Juden, die er damals intensiv sammelte und studierte (...) Die jüdisch-palästinensische Folklore wurde schließlich zur Grundlage seiner eigenen Kompositionen.“
Für Schönbergs bedeutendstes Werk hält Nemtsov die dreisätzige „Chassidische Suite“. 1937 in Berlin zunächst für Klavier geschrieben, arbeitete er sie für Orchester um. 1939 aber musste der jüdische Komponist schließlich auch emigrieren. Er ging zunächst nach London und 1948 dann nach New York, wo er an der Trinity School und an der Carnegie School of Music in Englewood unterrichtete. Im Mai 1956 erlag Schönberg, der noch die Aufführung seiner „Suite“ in der Carnegie Hall erleben durfte, einem Gehirntumor.
Das sicherlich in weiten Teilen spezielle Werk Jakob Schönbergs erlebt gleichwohl in unserer Zeit eine kleine Renaissance. Gerade ist eine Doppel-CD unter dem augenzwinkernden Titel „Another Schönberg“ erschienen. Anfang September brachte dann der Bayerische Rundfunk ein Porträt von Julia Smilga, die an den zu Unrecht Vergessenen erinnerte.
Zwei Fürther in Berlin
2004 schon war die damalige Fürther Stadtheimatpflegerin Barbara Ohm schon auf ein „Kuriosum“ gestoßen: 1936 wurde im Jüdischen Kulturbund Berlin eine „Dramatisierung von Jakob Wassermanns ,Sabbathai Zwi’ mit Musik von Jakob Schönberg“ aufgeführt, inszeniert von Otto Bernstein, einem Theaterregisseur, der 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Zwei Fürther trafen sich da also in der schon gefährlichen deutschen Hauptstadt — zwar nicht persönlich, aber auf einer künstlerischen Ebene.
„Der erste Teil von Wassermanns frühem großen Roman ,Die Juden von Zirndorf‘“, schrieb Ohm damals in den „Fürther Heimatblättern“, „schildert den (nicht historischen) Auszug der Juden aus Fürth, um dem vermeintlichen Messias Sabbatai Zewi entgegenzugehen.“ Ohm zeigt sich überrascht, dass ausgerechnet Schönberg diese Vorlage gewählt hat. Es sei „kein Sujet, mit dem sich ein orthodoxer Jude anfreunden kann, denn Wassermann schildert hier die jüdische Religion negativ“.
Sicher ist, dass Wassermann das Libretto zu dieser Oper nicht selbst geschrieben hat, er starb ja bereits 1934. Warum aber wählte der Fürther Schönberg den Text des Fürthers Wassermann? Am Ende gar aus heimatlicher Verbundenheit? Die wiederum kann man der Stadt, in der der Komponist geboren wurde, nicht nachsagen. Bis heute wurde das Werk des „anderen Schönberg“ hier noch nie öffentlich vorgestellt.
Keine Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen