Ein Turmschreiber aus Fürth
25.8.2019, 21:00 UhrVoraussichtlich im Mai 2020 wird er vier Wochen lang im Stadtmauer-Turm Quartier nehmen und dort ein Werk fertigstellen, das die Stadt Abenberg zum Schauplatz haben wird. Es soll ein Kriminalroman werden. Aber der 43-jährige Autor ist sich jetzt schon sicher, dass es kein klassischer Krimi werden wird. "Ich will mich ausprobieren", sagt er.
Worauf es Seidl ankommt, ist die Tuchfühlung mit der Abenberger Bevölkerung. Zum sechsten Mal schon wird der Ostturm nächstes Jahr einen Schriftsteller beherbergen, der dort ein literarisches Werk ausarbeiten soll. Der Turm ist ein wehrhaftes Unikat - ebenso wie der nun für das Amt berufene Autor Leonhard F. Seidl. Der geborene Oberbayer und Wahl-Fürther ist bekannt dafür, gegen politische sowie soziale Missstände und Ungerechtigkeiten aufzustehen und reale Ereignisse in literarischer Form zu behandeln.
Nicht nur aus diesem Grund schlugen Seidls Vorgänger Tanja Kinkel (Turmschreiberin 2017), Reinhardt Knodt (2004) und Gerd Scherm (2007) den Mann als ihren Nachfolger vor, der sich letztendlich gegen seine Mitbewerber durchsetzte. Leonhard F. Seidls Engagement im PEN-Zentrum, der Autorengruppe Wortwerk, der Neuen Gesellschaft für Literatur Erlangen und im Schriftstellerverband, zahlreiche Auszeichnungen und Nominierungen, ergänzt durch seinen kritischen Blick auf die Gesellschaft, qualifizierten ihn für das Amt des Turmschreibers.
Kritischer Beobachter
Besonders in seinen Romanen, in denen der engagierte Schriftsteller reale Ereignisse recherchiert und mit einer Kriminalhandlung verknüpft, spiegelt sich Leonhard F. Seidls Gesellschaftskritik. Dabei kann seine Haltung wohl weniger als "Kritik" beschrieben werden, sondern vielmehr als "Beobachtung".
Dass er in seinen Werken trotz des skeptischen Blicks auf die Geschehnisse differenziert und feinfühlig nach Beweggründen und dem Warum menschlicher Handlungen sucht, ohne zu verurteilen, hebt Die Welt-Redakteur Elmar Krekeler in Bezug auf Leonhards F. Seidls Erfolgsroman "Fronten" hervor: "Fronten" festigt keine Fronten. Spricht niemanden frei, niemanden schuldig. Zeigt, was woher kommt in der Gesellschaft und wohin es führt." Viel mehr als ums Verurteilen geht es um etwas anderes: das Verstehen. "Die Vergangenheit mag nicht vergehen, ohne den Versuch zumindest, sie zu verstehen, wird sie sich immer wieder wiederholen."
Diese Beobachtergabe kann dem Autor der literarischen FN-Reihe "Fürther Freiheit" während seiner Turmschreibertätigkeit zugutekommen. Schließlich ist er kein Einheimischer, sondern blickt mit den Augen eines Außenstehenden auf die Stadt, in der er residieren wird. Dem Abenberger Bürgermeister Werner Bäuerlein war dies besonders wichtig. Der residierende Schriftsteller soll ein Werk zu Papier bringen, das in der Kleinstadt Abenberg spielt.
Druck verspürt Leonhard F. Seidl keinen. Vielmehr freut er sich auf das bevorstehende Abenteuer und kann durch seine bisherigen Veröffentlichungen, Krimis in Roman- und Kurzgeschichtenformat, auf langjährige Erfahrung zurückblicken. Der lokale Faktor spielt für Seidl dennoch die untergeordnete Rolle. "Mir geht es nicht um lokale Aspekte", hebt er mit Nachdruck hervor. "Mir geht es um Mechanismen."
Neben dem Aufspüren von Mechanismen, Ereignissen und dem "Warum" sowie dem dazugehörigen Blick in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, blickt Leonhard F. Seidl auch aus anderen Gründen nach vorne: zur Planung und Verwirklichung eigener Ideen abseits des Schreibens. Inspiriert vom Stadt- und Turmschreiber, plant er ein eigenes "Writers-in-Residence"-Programm in Fürth.
Sein Wunsch ist es, die Welt an einem Ort zusammenkommen zu lassen, "Fürth von außen zu betrachten und mit Fürthern in Kontakt zu kommen." Von einem Writer in Residence erhofft er sich, dass dieser "die Lebenswelten und Polyphonie aufgreift und in literarische Form gießt."
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