Fast 80: Fürths ältester Bäcker ist nicht zu stoppen
6.7.2020, 06:00 Uhr"Ich könnt’ schon längst in Rente sein", sagt er am Tisch in seinem "Ladenzimmer". Doch er backt und backt und backt.
Seine Tage beginnen für gewöhnlich früh um halb drei. Eine halbe Stunde nach dem Weckerklingeln macht er sich auf den Weg zur Arbeit. Er geht die Treppe runter, was seinen Beinen zunehmend schwer fällt, knipst das Licht in der Backstube an und beginnt sein Tagwerk: Teige mischen, ruhen lassen, Semmeln und Brote "einschießen", wieder aus dem Ofen holen, auskühlen lassen. . . Zur Hand gehen ihm neben "Erika", der Teigteilmaschine, zwei weitere erprobte Helferinnen: eine Rühr- und eine Knetmaschine.
Wenn um halb acht die ersten Kunden kommen und, wie Gabi Ludwik (66), nach "den besten Semmeln von Fürth" verlangen, ist auch Natalie Gillich (31) zur Stelle. Sie hilft im Verkauf. Jeder Dienstantritt fühlt sich für die Bäckereifachverkäuferin an "wie Heimkommen". Ihre Oma wohnt gegenüber. Schon als Kind lief Gillich zum "Herrn Göllner", um für die Oma Semmeln oder frische Eier zu holen und für sich Überraschungseier aus Schokolade. Der winzige Verkaufsraum mit seinen zwei Glasvitrinen und den einfachen Brotregalen hat sich kaum verändert. Und Helmut Göllner ist als Chef geblieben, was er für sie schon immer war: "ein ganz feiner Mensch".
Göllners Semmeln sind legendär, es sind duftende Dinger, kleiner und kompakter als ihre luftigen Artgenossen von der Ketten-Konkurrenz. Aber: "Genauso schwer", betont der Meister mit wichtiger Miene. Er isst sie ja selbst recht gern, lieber als Nussschnecken oder Quarktaschen. Warum? Nun: "Ich bin kein Süßer." Das Semmel-Rezept bleibt selbstverständlich Geheimsache. Nur die Grundzutaten darf jeder wissen: Mehl, Wasser, Salz, Malzmehl.
In Kreideschrift
Seit 1936 ist die Bäckerei, die ursprünglich Konrad Helmreich gehörte, im Besitz der Familie. Helmut Göllners Vater Leonhard versorgte die Nachbarschaft mit Brot, bis er zum Wehrdienst eingezogen wurde. Der Backofen blieb von da an für einige Jahre kalt. Aus dem Krieg kehrte der Vater nie zurück.
1946 entschloss sich die Mutter, Eva Göllner, den Laden wieder in Betrieb zu nehmen. Der Sohn erinnert sich, dass eine Tafel im Schaufenster die Wiedereröffnung in Kreideschrift verkündete.
In der Nachkriegszeit, als es rund um die Ottostraße ein Dutzend Bäckereien gab, übernahmen das Backen bei den Göllners Angestellte. Ein Invalide war darunter, ein Mann mit Holzbein, der zuvor bei den amerikanischen Besatzern beschäftigt und aus der Kaserne offenbar andere Mengen gewohnt war.
"Eine ganze Monatsration Mehl hat der bei uns an einem einzigen Tag verbacken. Die Mutter hat die Händ’ überm Kopf zammgeschlagn, alles war voller Brotkörb’, der Hausgang, die Treppen. . . Naja, wegbracht hammers, die Leut’ warn ja hungrig."
Es kam vor, dass ein Geselle in der Nacht nicht zum Dienst erschien. In ihrer Not riss die Mutter dann einen ihrer Söhne aus dem Schlaf. Helmut Göllner sieht noch vor sich, wie er mit dem Rad im Finstern die Wirtschaften abklappert. Irgendwo fand er aber immer den, den er suchte, oft im "Kronprinz", dem heutigen "Babylon".
Das "Ladenzimmer" ist klein, mit Tisch, Sofa, Kohleofen und direktem Zugang zum Verkaufsraum. Hier, wo nach dem Krieg eine ganze Familie wohnte, gönnt sich Helmut Göllner inzwischen ab und zu eine kurze Pause.
Im Haus ist es still geworden im Vergleich zu früher. Nach dem Krieg sprangen hier um die zehn Kinder mit Helmut und seinem inzwischen verstorbenen Bruder Ludwig treppauf, treppab, ließen im Hof unter der Linde Kreisel tanzen und verabredeten sich zum "Strass’ntreiben". Für dieses Spiel brauchte man zwei Gruppen und den Ehrgeiz, einen Ball trotz gegnerischer Störfeuer weit fort zu bugsieren. "Bis zur Bahnschranke hammers g’schafft."
Als 14-Jähriger heuerte Göllner bei der Bäckerei Heller im Haus neben den "Camera"-Lichtspielen als Lehrling an. 1957 arbeitete er bei der Konditorei Frauenknecht in der Nürnberger Nordstadt. 1958 kehrte er zurück in den elterlichen Betrieb, "seitdem bin ich da". 1963 absolvierte er die Meisterprüfung, und bis Mitte der 90er Jahre stand seine 2000 verstorbene Mutter im Laden.
Helmut Göllner, der ledig blieb und kinderlos, klingt zufrieden, wenn er aus seinem Leben erzählt. Er kam in der Welt herum, hat seine drei Wochen Sommerurlaub oft genutzt für Reisen nach Finnland, Grönland, Sibirien. Ihn zog es stets in die Kälte. "Warm hab’ ich’s ja in der Backstube."
Stolz berichtet er, dass er in 66 Berufsjahren (mit Lehre) "noch keine Stunde" gefehlt hat. Nur in der Corona-Zeit musste auch er pausieren. Aber jetzt backt er wieder. Und ein Ende? Ist erst mal nicht in Sicht. "Vorläufig hab’ ich nix anders vor." Da zeigt es sich wieder, das Lausbubengrinsen.
9 Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen