Fotoprojekt: Mit der Camera Obscura zur Ostsee

15.2.2017, 06:00 Uhr
Fotoprojekt: Mit der Camera Obscura zur Ostsee

© aus dem Buch

Kein Objektiv, kein Auslöser, kein Schnickschnack. Eine Camera Obscura ist Fotografie pur und besteht lediglich aus einem lichtdichten Gehäuse mit einer sehr kleinen Öffnung, die den Lichteinfall ermöglicht. Joachim Lindner bekam einen solchen Apparat, eine Robert Rigby Pinhole, 2005 von seiner Frau zu Weihnachten geschenkt. Kurz entschlossen packte er das archaisch anmutende Ding in den Koffer und machte kurz nach Silvester auf der Ostseeinsel Hiddensee die ersten Aufnahmen.

Der Winter zeigte sich damals von seiner frostigsten Seite. "Bis an die Wasserkante lag Schnee. Buhnen, Poller – alles war weiß, der Hafen zugefroren." Lindner hatte ganz besondere Motive vor sich. Mit seiner neuen Lochkamera belichtete er 4/5-Inch-Diafilm, vom Ergebnis war der 54-Jährige begeistert und wusste: "Da mach’ ich weiter."

Es wurde ein Projekt, an dem er bis 2015 arbeiten sollte. Sieben Länder an der Ostsee bereiste er, legte viele Kilometer bei Wanderungen entlang der Küste zurück. Joachim Lindner ist von Beruf Werbefotograf, die Beschäftigung mit der Camera Obscura bedeutete für ihn nicht zuletzt eine Auseinandersetzung mit den Ursprüngen seines Metiers. Anders als in seinem Arbeitsalltag, bei dem selbstverständlich aktuelle Digitaltechnik den Ton angibt, setzt die ursprüngliche Art der Fotografie unabänderliche Grenzen.

Das Licht und die Zeit rücken unweigerlich in den Vordergrund. Landschaftsaufnahmen sind eben nur am Tag möglich, Belichtungen können gerne auch mal 20 Minuten und länger dauern. Die exakte Zeitspanne ermittelte Lindner übrigens mit Hilfe von Polaroids, mit denen er Probeaufnahmen machte. Natürlich spielt auch die Natur eine wichtige Rolle. Als ideal empfindet der Fotograf "schönes, trübes Wetter". Ein ausdrucksstarker Wolkenhimmel ist erwünscht, heftiger Regen – so wie Lindner es auf der schwedischen Insel Öland erlebte – macht allerdings alle Fotohoffnungen umgehend zunichte.

Sehr bald wurde dem Fotografen bewusst, dass dieses Projekt seine eigenen Bedingungen mit sich bringt: "Man muss dabei Ruhe haben, kann sich nicht reinpressen lassen." Geduld ist wesentlich. Der Lohn für die Abkehr von der üblichen Rastlosigkeit und Eile ist eine geschärfte Aufmerksamkeit, die den Blick öffnet. Genau diese Stimmung prägt nun den Bildband, den Joachim Lindner konzipiert hat.

Ausstellung in Nürnberg

Seite für Seite führt er den Betrachter zu neuen Impressionen. Die 144 Aufnahmen sind im Fluss, korrespondieren miteinander, nehmen Andeutungen auf, geben Antworten. Ebenso unaufdringlich wie fesselnd wird so eine eigene Welt geschaffen, die aus der Gelassenheit und Stille Kraft gewinnt.

Die Motive bauen unweigerlich Spannung auf. Was ist mit dem U-Boot, das auf den Strand gehievt wurde? Wer möchte in dem Ufo-Haus in den Dünen leben? Wohin sind die Sommergäste entschwunden, die die Badehäuser verlassen haben? Das Kopfkino läuft auf Hochtouren und wird mit den emotionalen Texten, die Lisa Lindner beigetragen hat, noch weiter angeregt. Der 27-Jährigen, die gerade ihr Studium abgeschlossen hat und in einer Kommunikationsagentur arbeitet, ist es gelungen, mit ihren Worten die Atmosphäre der Fotografien aufzunehmen.

Noch bis 5. März ist in Nürnberg in der Galerie LeonART (Leopoldstraße 24) jeweils freitags von 16 bis 20 Uhr und sonntags von 14 bis 18 Uhr eine Ausstellung mit großformatigen Fotos aus dem Buch geöffnet.

Joachim Lindner und Lisa Lindner: "Lange Zeit . . .Lichtbilder der Baltischen See", erschienen beim Verlag Seltmann und Söhne, ISBN 978-3-946688-00-6, 39 Euro, www.jl-fotografie.de

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