Fühlt sich an wie Heimat

16.4.2016, 13:52 Uhr
Fühlt sich an wie Heimat

© Foto: Edgar Pfrogner

„Sie werden mich erkennen“, versichert er am Telefon, „ich trage immer einen Hut.“ Stimmt. Doch George Meyer-Goll wird hierzulande auch ohne Personenbeschreibung von vielen erkannt. Schuld trägt, oder besser gesagt: Der Verdienst daran gebührt „Ihre Kinder“.

Der seit Januar 67-Jährige stand mit der legendären Gruppe von 1966 bis 1973 auf ungezählten Bühnen und am 19. Dezember 1970 gar bei Dietmar Schönherr und Vivi Bach in „Wünsch’ dir was“, der damaligen Hochburg deutscher TV-Unterhaltung. Man sang deutsch — was als Pioniertat in die Rock-Geschichtsbücher aufgenommen wurde, den Kraut-Rock überhaupt erst in Gang setzte und bis heute Udo Lindenberg zu Elogen über dieses Vorbild hinreißt.

Meyer-Goll sang, bediente Querflöte und Geige bei „Ihre Kinder“. Die deutschen Texte, erinnert er sich, sorgten keineswegs für spontane Irritation: „Das hat eine Weile gebraucht, bis dahin hat man die Stimme ja eher als zusätzliches Instrument begriffen. Wer verstand denn etwa Van Morrison?“ Die Texte der „Kinder“ seien damals „zum Teil sehr überdreht“ gewesen.

Beim Stichwort Fürth fällt ihm sofort dieser eine Club ein, der hieß . . . Meyer-Goll greift zum Telefon. Schlagzeuger Roland „Olders“ Frenzel weiß die Antwort: „Die ,Camera‘ in der Schwabacher Straße.“ Weit über die Stadtgrenzen hinaus war das ehemalige Südstadtkino als „Beat-Club“ bekannt: „Da sind wir alle hingepilgert.“

Riesenbegabung

George Meyer-Goll ist fast 27, Vater einer Tochter und zum ersten Mal geschieden, als er findet, was ihn wirklich packt: Obwohl er die Altersgrenze überschritten hat, wird er an der renommierten Falckenberg-Schauspielschule in München aufgenommen. „Die haben gesagt: Den gönnen wir uns.“ Jetzt beginnt der junge Mann zu arbeiten. „Ich bin ziemlich faul, hab’ aber eine Riesenbegabung“, analysiert Meyer-Goll gelassen. „Wenn ich ein Instrument in die Hände bekomme, dann kann ich nach zwei Monaten so bluffen, als hätte ich das lange gelernt. In dem Moment müsste ich natürlich mit dem richtigen Üben anfangen. Habe ich aber nie geschafft. Nur im Theater, da hat das auf einmal geklappt.“

Er ackert unermüdlich. Seine erste Aufgabe: „Ich musste mir meinen tiefsten fränkischen Dialekt abtrainieren.“ Ein billiges Tonband soll dabei helfen: „Am Anfang dachte ich, ich schaff’ das nicht.“ Hat er natürlich doch. Heute schleicht sich der vertraute Klang ein, wenn die Heimat näher rückt. „Auf der Autobahn weiß meine Frau genau, wo wir sind. Meine Sprache ändert sich, wenn wir Franken erreichen.“

Von der Schauspielschule geht Meyer-Goll direkt zu Claus Peymann nach Stuttgart, folgt ihm später nach Bochum. Es sind deutsche Theaterjahre, denen heute etwas beinahe Mythisches anhaftet. „In Stuttgart hatte Peymann einen dicken Schnauzbart, trug Cordhosen und war immer ansprechbar. Am ersten Tag in Bochum erschien er in Nadelstreifen.“

Meyer-Goll geht in den folgenden Jahren an die großen Häuser der Republik, dreht unter anderem TV-Serien wie „Schwarz-Rot-Gold“. Heute sagt er entspannt: „Ich hätte eigentlich eine Riesenkarriere machen können. Aber ich war nicht leicht. Vor allem war ich kein Diplomat.“ Aber nein, kein Bedauern. „Ich bin glücklich, weil ich nur so meine Frau kennen lernen konnte.“ Mit der Bühnenbildnerin Annelie Büchner ist er seit 22 Jahren zusammen.

Seine Lebensorte sind heute Berlin, Hamburg und Bevagna in Umbrien. Dort führt das Paar von Mai bis September eine Pension in einem Olivenhain. Die Tage in Fürth sind für ihn auch ein großes Treffen mit Familie und Freunden. Gerade kommt er vom Mittagessen bei seiner Schwester, die mit BRK-Kreisbereitschaftsleiter Adolf Reichel verheiratet ist.

In Arthur Millers „Handlungsreisenden“ ist er im Stadttheater Charley, ein Freund des Protagonisten, den Burghart Klaußner („Das weiße Band“, „Das Adlon“) spielt. „Das Stück ist wichtig, weil es um den Turbo-Kapitalismus geht, der bei uns schon längst real geworden ist.“ Sein Beruf begeistert ihn heute so wie zu Beginn: „Wenn es dich nicht mehr gibt, sondern einen Menschen mit einer eigenen Sprache, einem eigenen Gang, dem du deine Äußerlichkeit zur Verfügung stellst, und wenn du es schaffst, dass man eine Stecknadel fallen hört und die Leute mit dir atmen, weil du sie verführst, aus ihrem Alltag herauszutreten – dann ist das für mich der schönste Beruf.“

„Tod eines Handlungsreisenden“: St. Pauli Theater Hamburg/Ruhrfestspiele Recklinghausen, heute, 19.30 Uhr, Stadttheater. Karten ab 11 Euro an der Abendkasse.

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