Genähte Kunst in der Kulturscheune
18.07.2008, 00:00 Uhr
Sonja Baer und ihre 21 Patchwork-Freundinnen aus ganz Deutschland wissen um den Ruf, der der Quilttechnik anhängt. Als Zeitvertreib von Hausfrauen, die Stoffflicken zusammenschneidern, würden ihre Kreationen gerne abgetan. Wer den Patchworkerinnen mehr Wohlwollen entgegenbringt, schätzt sie als Kunsthandwerkerinnen. «Doch von Kunst, davon spricht bei Quilts keiner, vielleicht weil sie Frauen machen», mutmaßt Baer. Denn wenn ein Mann Holz oder Metall im Keller bearbeite, werde das ganz selbstverständlich als Kunst betrachtet.
Etwas ungerecht findet die Wahl-Roßtalerin Sonja Baer (61) das. Denn was einst aus der Not heraus geboren tatsächlich aus Stoffresten zusammengenäht und zu wärmenden Decken verarbeitet wurde, haben Patchworkerinnen wie sie längst aus der funktionalen Ecke des Gebrauchsgegenstandes geholt. «Sonja und Friends», wie sich die Gruppe nennt, näht Kunst.
Wer in der Spitzweedscheune den bunten Bettüberwurf aus Stoffresten erwartet, ist denn auch völlig falsch gewickelt. Die Aneinanderreihung leicht variierter Stoffmuster zur großformatigen Decke, wie man sie sich gemeinhin unter einem Quilt vorstellt, ist nicht zu finden. Stattdessen hängen an den weiß getünchten Mauern Wandbehänge, die mitunter wie gemalt daherkommen und sich erst beim genauen Hinsehen als genäht entpuppen. Werke, die nur zu Stande bringt, wer als Grundvoraussetzung enormes Geschick an der Nähmaschine und viel Geduld mitbringt.
Geduld braucht allerdings auch, wer mit einer Patchworkerin zusammenlebt, wie Sonja Baer gesteht. Sie ist der Quilttechnik seit 1984 erlegen. Faszinierend findet sie es, wie da langsam etwas gedeiht, das sich mitunter während des Entstehungsprozesses in eine ganz andere als die ursprünglich geplante Richtung entwickelt.
Die gelernte Bürokauffrau, die sich mit der Geburt ihres Sohnes vor 30 Jahren ins Hausfrauendasein zurückzog und seitdem ihre «kreative Ader auslebt», wie sie sagt, kann tagelang an der Nähmaschine sitzen. An der Kleidung hängengebliebene Fadenreste verteilen sich dann im ganzen Haus. Sehr zum Verdruss des Gatten sind die Stoffe in allen Ecken gebunkert. Patchworkerinnen sind auch Sammlerinnen. Wer weiß, vielleicht lässt sich genau der eine Flicken doch noch einmal gebrauchen. Die Kielerin Christine Staack hat in ihrer Vita dargestellt, wie so ein Quilt entstehen kann: Ein paar Übungsfleckchen hatte sie genäht, dann fanden sich noch passende Reste und im Laden gab’s dieses tolle Perlgarn, zu einem Spottpreis noch dazu. Als der Gatte heimkam, fragte er, ob das wohl ein neuer Quilt werde? So gab eins das andere und aus den Übungsstücken wurde ein abstrakter Farbenrausch zwischen Gelb, Rot und Violett.
Dass die verwendeten Formen oft an die aufs Wesentliche reduzierten Gestaltungsprinzipien der Bauhaus-Künstler erinnern, liegt nah. Die kantige Bildsprache bietet sich für die Umsetzung an der Nähmaschine an. Aber auch andere Ikonen der Kunstgeschichte wie Friedensreich Hundertwasser stehen den Damen motivisch Pate.
«Im Grunde machen wir nichts anderes als ein Maler. Nur verwenden wir eben statt Farben Stoffe, um mit deren verschiedenen Oberflächen und Strukturen zu spielen», erklärt Sonja Baer. Quilten, sagt sie, bedeute nichts anderes als «zusammensteppen». Die Technik beschränkt sich allerdings längst nicht mehr aufs bloße Aneinandernähen und Absteppen. Da wird mit Siebdruck, Stempeln oder Lötkolben gearbeitet, Stoffe in ausgeklügelten Verfahren selbst gefärbt oder mit verblüffenden Effekten etwa beim Einarbeiten von Goldfäden, getrockneten Fruchthülsen und durchscheinenden Textilien wie Chiffon gespielt.
Einzelne der in der Schau vertretenen Textilkünstlerinnen wie Elsbeth Nusser-Lampe aus Freiburg, Gabi Mett aus Essen oder die in München lebende Dörte Bach haben sich mit ihren lyrisch-abstrakten Kompositionen längst einen internationalen Ruf in der Szene erworben, schreiben Fachbücher und geben in aller Herren Länder Seminare. Auch Sonja Baer hat zwölf Jahre lang an der Volkshochschule Oberasbach Patchwork unterrichtet. Jetzt erwägt sie, nächstes Jahr einen Kurs in Roßtal zu geben. Weil sie am Wochenende so viele Besucher angesprochen haben, «ob ich sowas nicht auch hier anbieten könnte». Die Fangemeinde einer in die Moderne übersetzten traditionellen Handarbeit wächst.
Die Patchwork-Ausstellung in der Spitzweedscheune Roßtal ist noch am Samstag, 19., und Sonntag, 20. Juli, jeweils von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Der Eintritt ist frei, stattdessen bitten die Künstlerinnen um eine Spende für das Waldpiraten-Camp der Deutschen Kinderkrebsstiftung. Das erlebnispädagogische Projekt will an Krebs erkrankten Kindern wieder Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein vermitteln.