Hebammen können (sich) Geburtshilfe nicht mehr leisten

13.10.2013, 16:00 Uhr
Hebammen können (sich) Geburtshilfe nicht mehr leisten

© Winckler

Der Kontrast konnte kaum größer sein: Vor 20 Jahren, als die Kreißsäle der Kliniken alles andere als ein zauberhafter Ort waren, richteten die beiden Hebammen Helga Torney-Weiß und Katarina Gebhard das erste Geburtshaus in Bayern ein — in einer Nürnberger Jugendstilvilla, in der das Eichenparkett knarrt und die Pforte mittlerweile von wildem Wein überwuchert ist.

Exakt 1957 Kinder kamen hier zwischen 1991 und 2011 zur Welt — dann aber blieb der Geburtsraum in Schniegling ungenutzt. Was war passiert? Die Berufshaftpflichtversicherung für die außerklinische Geburtsbegleitung war in die Höhe geschnellt, so sehr, dass sich Torney-Weiß und Gebhard wie viele Kolleginnen nicht mehr in der Lage sahen, Geburtshilfe zu leisten.

Damit sei „das Herzstück“ ihrer Tätigkeit weggefallen, sagt Helga Torney-Weiß, die sich das anders gewünscht hätte. So erfreulich es auch sei, dass Kliniken sich heute mehr Mühe geben, eine angenehme Atmosphäre bei Geburten zu schaffen, wesentliche Unterschiede bleiben: Zuhause oder im Geburtshaus gehe es nur um diese eine Mutter, um ihr Tempo, um das, was ihr gut tut. Ohne Schichtwechsel.

Mit Unbehagen beobachtet die 52-Jährige, wie das Entbinden „industrialisiert“ werde. Und wie verunsichert viele werdende Mütter sind: „Die sind so ängstlich, dass sie nicht sich und dem Kind vertrauen, sondern dem Arzt.“ Zu viel Angst, zu viel „Risikomanagement“ sei heute im Spiel: „Ein Einstein und ein Goethe kamen nicht in einem Perinatalzentrum Stufe 1 zur Welt, sondern in dem Bett, in dem sie gezeugt wurden.“

Tanz, Fitness, Erste Hilfe

Der Einschnitt im November 2011 war Anlass für die Frauen, ihr Hebammenhaus neu auszurichten, ein neues Kapitel aufzuschlagen, das jetzt in Fürth fortgesetzt wird: Weil die alte Villa saniert wird, ist das achtköpfige Team in die Königswarterstraße 58 umgezogen. Dort gibt es keinen Geburtsraum mehr, dafür einen zusätzlichen Gruppenraum — für die vielen Kurse, die dort stattfinden.

Torney-Weiß und ihre Kolleginnen konzentrieren sich nun auf die Zeit vor und nach dem großen Moment, haben sich neue Nischen gesucht. „Es gibt ja abgesehen von der Geburt so vieles, was wir den Frauen auf den Weg geben können.“ Die Hebammen bieten weiterhin Geburtsvorbereitungskurse, Hausbesuche in den Tagen nach der Entbindung und Rückbildungsgymnastik an – darüber hinaus aber gibt es jetzt auch Kurse wie „Orientalischer Tanz vor und nach der Geburt“, „Fitness mit Baby“ oder „Erste Hilfe für Babys“.

Ihre Ziele sind dieselben geblieben: „Wir wollen den Müttern den Rücken stärken“, sagt Torney-Weiß, „sie ermuntern, auf ihre innere Stimme zu hören, ihnen vermitteln, dass es nicht nur darum geht, den Herzschlag abzuhören.“

Die Erhöhung der Haftpflichtversicherung fand auch Xenia Hasenschwanz von der Fürther Hebammenpraxis Mutter-Kind-Atelier bitter — aber die 43-Jährige entschied sich, das Geld zu bezahlen: Zusammen mit einer Kollegin macht sie weiter Hausgeburten, außerdem „hebammengeleitete Geburten“ im Klinikum Schwabach. Den Hebammen steht hier ein Raum zur Verfügung, in dem sie ungestört sind. „Ein Arzt greift nur ein, wenn es notwendig ist.“

Geld lasse sich mit den Geburten nicht mehr verdienen, sagt Hasenschwanz. Ihr Einkommen müsse sie sich über die Vor- und Nachsorge erwirtschaften. Die Geburtshilfe sei für sie heute eher ein Hobby, für das sie „brenne“ — weil es ihr wichtig ist, dass Schwangere „die Wahl haben“: „Es ist so schön, wenn eine Frau mit einem Strahlen im Gesicht sagt: Ich bekomme mein Kind zu Hause.“

Wie die anderen freiberuflichen Hebammen unterstützt Hasenschwanz aber auch Frauen vor und nach der Geburt, die sich für eine Klinik entscheiden: „Ich stärke sie, dass sie gebären können, wo sie wollen.“

Als ein „sehr teures Hobby“ bezeichnet auch Ina Herms von der Hebammenpraxis am Bahnhofplatz die außerklinische Geburt — für sie, die wegen der eigenen Familie nicht Vollzeit in dem Beruf arbeiten kann, ist es zu teuer. Ja, sagt die 37-Jährige, es fehle schon etwas: „das Kernstück meiner Arbeit“.

Sechs Jahre lang hat sie Geburten begleitet, erst in einer Klinik, dann in einem Geburtshaus. Der stärkste Vorteil dort sei, „dass der Kontakt zwischen der Hebamme und der Frau zeitlich nicht begrenzt ist und die Frauen ganzheitlich wahrgenommen werden.“

Viele Schwangere seien stark auf den Frauenarzt fokussiert und wüssten gar nicht, dass sie zur Vorsorge auch zur Hebamme gehen können. Manche, die kommen, seien überrascht: „Vom Arzt sind sie den Ultraschall gewöhnt — aber hier wird der Bauch auch angefasst. Zum Beispiel gibt es da die Leopoldschen Handgriffe...“

Ein Geburtshaus gibt es nach wie vor im Fürther Landkreis: In Ammerndorf hat Hebamme Liane Borsdorf auch nach der bitteren Pille 2011 weitergemacht. Dass viele Kolleginnen aufgaben, merkte sie schnell: Häufiger als in anderen Jahren wurde sie von Müttern um Hilfe bei Geburten gebeten.

Aber auch schon in den Jahren zuvor, so ihr Eindruck, sei das Interesse an der außerklinischen Entbindung leicht gestiegen. Für die Mütter, die ihr Kind zu Hause zur Welt bringen wollen, sind Hebammen wie Liane Borsdorf ab der 38. Schwangerschaftswoche jederzeit erreichbar. Weil so eine ständige Rufbereitschaft über Wochen hinweg bedeutet, dass sich das Privatleben mit dem Job vermischt, nimmt sich die 55-Jährige manchmal Auszeiten. „Dann mache ich mal drei Monate lang keine Geburten.“

Auf Dauer davon lassen will sie aber nicht.

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