"Sind wir erst dann soweit?"
Kliniken chronisch überlastet? Fürther Mediziner schlägt Alarm - und warnt vor extremen Folgen
21.2.2022, 14:10 UhrEs waren die Bilder, mit denen die Corona-Pandemie erstmals in Mitteleuropa greifbar wurde. Ein endlos langer Militär-Konvoi transportierte im März 2020 Leichen aus Bergamo ab. Sie brachten Tote zu Kühlhäusern und Friedhöfen. Die Fotos stehen sinnbildlich für die Überlastung eines Systems, für Hilflosigkeit, auch für den zeitweisen Kollaps. Aber ist das Gesundheitssystem erst überlastet, wenn Soldaten Leichen abtransportieren?
Genau hier widerspricht Manfred Wagner. Zu zugespitzt, zu undifferenziert sei die Debatte, sagt der Pandemiebeauftragte des Fürther Klinikums. "Mir ist das zu extrem", sagt er in einem Video auf YouTube.
Damit reagiert der Mediziner auf eine Debatte, die in den letzten Tagen wieder hochkochte. "Intensivstationen waren nie überlastet!", titelte die Bild-Zeitung. Dort breitete das Blatt eine Antwort des Gesundheitsministeriums auf eine Anfrage der FDP im Bundestag aus. Eine deutschlandweite Überlastung, heißt es, sei nie eingetreten. Intensivmediziner kritisieren die Darstellung, sprechen von einer "zynischen Schlagzeile" - und auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach wehrt sich gegen eine, wie er sie nennt, Kampagne des Springer-Verlags.
Triage? "Da kommen wir hoffentlich nie hin"
Wagner vom Fürther Klinikum jedenfalls hat genug von der Debatte. Die Polarisierung, sagt er, wird der Situation an den Kliniken nicht gerecht. Wenn man die Überlastung mit der harten Triage gleichsetze, die es so in Deutschland nie gab, dann blieb der Kollaps tatsächlich aus. "Da kommen wir auch hoffentlich nie hin", sagt der Pandemiebeauftragte. "Aber sind wir erst dann soweit?"
Der Mediziner spricht von einer chronischen Überlastung. "Das erlebe ich auch bei meinen Mitarbeitenden", sagt Wagner in dem Video. "Die chronische Überlastung äußert sich darin, dass Krankenschwestern in ihrem Urlaub immer wieder angerufen werden, ob sie nicht einspringen können." Mehr noch: Häufig werde über dem Pflegeschlüssel versorgt und Chefärzte übernehmen normale Schichten. Allein, "um die Patientenversorgung aufrecht halten zu können", wie der Fürther Pandemiebeauftragte sagt.
Wagner mahnt: Sich nicht in Extrempositionen verlieren
Die Folgen sind massiv. Immer mehr Mitarbeiter verlassen die Krankenhäuser, ein schleichender Exodus aus der Pflegebranche droht. "Sie sagen: So will ich nicht mehr weiterarbeiten", mahnt Wagner. "Wir können nicht sagen, dass unser Gesundheitssystem nie überlastet war, nur weil bei uns die an Corona Verstorbenen nicht mit Militärlastern aus den Krankenhäusern abtransportiert wurden."
Episoden wie der Streit zwischen der Bild-Zeitung und Karl Lauterbach helfen nicht, ist er überzeugt. "Da appelliere ich an alle Politiker, an die Talkshowrunden, dass wir dort in eine differenzierte Diskussion kommen." Sich in Extremposition zu verlieren sei vielleicht bequem - aber nicht produktiv. "Wir müssen uns dem endlich ehrlich stellen."
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