Langeweile hat große Pause

25.2.2013, 13:20 Uhr
Langeweile hat große Pause

© Thomas Scherer

„LANGWEILIG!“ Wie eine Anklage steht das Wort eingeritzt mit fetten Kuli-Strichen auf der Bank. Jetzt ist der bekritzelte Schultisch zur Bühne geworden. Und die Langeweile hat große Pause. Im Klassenzimmer der 8c ist an diesem Morgen in der dritten Stunde so ziemlich alles anders als sonst. Die Stühle sind zur Seite gerückt, der Lehrer hockt stumm zwischen seinen Schülern und hört zu. Und alle schauen auf Eriopis (Julia Hell) und Polyxenos (Tristan Fabian).

Die beiden sind die Neuen in der Klasse. Was allein schon eine Zumutung ist. Jetzt sollen sie sich vorstellen. Eine üble Aufgabe, die sich leichter meistern lässt, wenn man einen einzigen Buchstaben austauscht: Verstellen schmerzt eindeutig weniger, wenn man fremd ist und unendlich einsam. Eine Konstante gibt es im Leben dieses griechischen Geschwisterpaares: Ganz gleich, wo sie sind, es fühlt sich immer falsch an.

Da hilft es auch nichts, wenn die Eltern Jason und Medea heißen und respektable Helden sind, die einen festen Platz in jedem Prachtband mit griechischen Sagen gebucht haben. Wer je in einem solchen Schmöker geblättert hat, ahnt ohnehin, dass die Geschichte hier für Medeas Kinder kein Spaß wird.

Klingt dramatisch, ist es auch. An diesem Punkt kommt allerdings Autor Holger Schober ins Spiel, der knapp 2500 Jahre nach Euripides endlich auch Sohn und Tochter zu Wort kommen lässt. Selbstverständlich hat der Österreicher nichts anderes im Sinn, als aus der Antike umgehend ins Heute zu kommen. Das funktioniert erstaunlich gut. Die Tiraden über nicht anwesende Väter, die sich junge Frauen nehmen, Mütter, die verflossene Gatten zu sehr lieben und das Gefühl, die turmhohen Erwartungen der Eltern nicht erfüllt zu haben, sind bitterböse und wahrhaftig keine Nachrichten aus längst vergangenen Zeiten.

Julia Hell und Tristan Fabian sind auf ihre Weise alterslos. Sie könnten gerade noch die Schultasche geschultert haben, ihr Ton ist authentisch und nie aufgesetzt. Die Verve, mit der sie sich in ihre Parts einleben, ist raumfüllend. Das macht aber auch einen Reiz dieses Klassenzimmerspiels aus. Wann sonst ist Theater so nah? So direkt? Unausweichlich und zwingend?

Die Spannung wird erträglich durch den Witz, der ab und zu ran darf. Wenn Eriopis ihrem Bruder fiese Beleidigungen an den Kopf schleudert („Du bist wie eine Doku über Schafzucht in Australien, die auf Phoenix läuft“), entspannt das für Momente und schafft Aufmerksamkeit für die Brocken, die die beiden stemmen müssen. Da wird dann über Respekt räsoniert, über Liebe und versäumte Elternpflicht.

Regisseur Tilmann Seidel hat mit bemerkenswertem Sinn für Details darauf geachtet, alle Gesten, Bewegungen und Aktionen der Protagonisten auf ihre jeweiligen Figuren abzustimmen. Eine durchgängig logische Inszenierung ist dabei herausgekommen. Wenn Theaterpädagoge Johannes Beissel anschließend mit den Schülerinnen und Schülern über das Gesehene spricht, zeigt sich, dass das Spiel eindringlich und verständlich bei allen ankommt. Völlig unabhängig davon, ob einer mit Leidenschaft in griechischen Sagen blättert.

Bleibt natürlich die ewige Frage: Und was haben wir daraus gelernt? Die Antwort ist ausnahmsweise einfach: Theater gehört ins Klassenzimmer.

„Meine Mutter Medea“ — ein Klassenzimmerstück ab 8. Jahrgangsstufe. Buchungsanfragen: Johannes Beissel, Tel. 9742431, johannes.beissel@fuerth.de

 

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