Laternen-Debakel: Warum der Shitstorm falsch ist
16.11.2016, 06:00 UhrDie Geschichte hätte tatsächlich aus einem Satireheft stammen können: Kinder können an Sankt Martin nicht mit ihren Laternen durch die Straßen ziehen, weil dort – was für eine Ironie – Pegida demonstriert. Jene Gruppierung also, die vorgibt, angeblich bedrohte abendländische Traditionen retten zu müssen. Die, das kommt hinzu, anders als Sankt Martin ungern mit Fremden teilt.
Die Nachricht verbreitete sich rasant, auch die Süddeutsche Zeitung und der Bayerische Rundfunk blickten nach Fürth, die Kommentarspalten im Internet füllten sich mit Empörung. Die Episode traf einen Nerv: bei allen, die die menschenverachtenden Parolen von Pegida unerträglich finden und dazu noch die Trump-Wahl verdauen müssen.
Doch nicht nur der Nürnberger Pegida-Ableger erlebte in den vergangenen Tagen einen Shitstorm. Die Wut richtete sich auch gegen die Fürther Stadtverwaltung – in einem erschreckenden, völlig überzogenen Maß. Wie schnell Menschen, die auf der „guten Seite“ stehen und sich für Kinder und/oder Weltoffenheit stark machen, beleidigend werden und ungehemmt bösartige Unterstellungen veröffentlichen, erschüttert. Der Umgangston im Internet bedrückt seit langem. Das Beispiel zeigt: Nicht nur Fremdenhasser können Hasskommentare. Nicht nur Trump fehlt die Besonnenheit.
Einen dummen Fehler hat das Ordnungsreferat gemacht, als es in Absprache mit Pegida die Demo an den Obstmarkt verlegte und nicht daran dachte, dass sich am 11.11. in der ganzen Stadt Laternenumzüge in Bewegung setzen. Den Ärger darüber darf man natürlich äußern, auch deutlich. Und wer noch nie einen Geburtstag oder Hochzeitstag vergessen hat, kann auch den Kopf darüber schütteln, wie so etwas passieren kann.
Im Internet aber wird die Stadtverwaltung niedergebrüllt, von Müttern und Vätern, die sonst doch Vorbild für ihre Kinder sein wollen. Die Verantwortlichen werden „Idioten“ genannt, die sich „in Grund und Boden schämen sollen“ und „mit Schimpf und Schande aus dem Amt gejagt“ werden sollen. Rücktritte werden gefordert. Und Amtsleitern, mit denen man persönlich vermutlich noch nie gesprochen hat, wird unterstellt, mit Pegida zu sympathisieren. „Die Stadt soll endlich aufhören, den Nazis immer wieder ihr Auftreten zu erleichtern“, schimpft einer erbost.
Die Kommentare machen auch deutlich, dass vielen das Wissen fehlt, wie sehr das Versammlungsrecht in Deutschland geschützt ist, wie gering der Spielraum der Kommunen ist. Die Wut im Bauch soll raus: Die Folge sind Forderungen, die schlicht unrealistisch sind. (Wir haben hier die wichtigsten Fragen und Antworten zur Zulassung der Pegida-Demo zusammengestellt.)
Wie, fragte eine Nutzerin im Netz entrüstet, erklärt man den Kindern, dass das Rathaus ihren Umzug „verpennte“? Man könnte ihnen sagen, dass die Stadt einen ärgerlichen Fehler gemacht hat. Dass sie sich dafür entschuldigt hat – wie man es dem Kind beibringt. Und dass dieser Fehler hoffentlich nicht noch mal passiert.
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