Leithunde-Jaulen im Kufo
13.10.2018, 17:01 UhrSie waren Leithunde. Jetzt sind sie von den Socken. Brav haben sie ihre Schuhe ausgezogen, hocken im Sitzkreis und versuchen, sich ein Leben nach dem Rausschmiss vorzustellen. Was sich anfühlt wie eine Krabbelgruppe für Geschasste, nennt sich Outplacement. Ein schneidiger Anglizismus, der beim Übersetzungversuch radikal an Glanz verliert. Oder kann sich jemand unter "Raussetzung" etwas Schickes vorstellen?
Die sieben Protagonisten, die bis jetzt die Spitze der Gehaltslisten anführten, vermögen das jedenfalls nicht. Ihre Kündigung hat sie kalt erwischt. Aber noch ist nicht ganz klar, ob es bloß der Jobverlust ist, der schmerzt wie eine Amputation ohne Narkose, oder doch die Einsicht, dass sich hinter dem Schreibtisch in der Führungsetage das Nichts auftut. Privatleben? Persönlichkeit? Sagen wir es mal so: Die schwarze Null wäre für sie alle ein höchst erstrebenswertes Ziel.
Die defizitären Ex-Manager sind bei Urs Widmer in unerbittlichen Händen. Er stellt sie bloß, gibt sie die Lächerlichkeit preis, macht das komplette Elend der globalen Finanzkrise und ausuferndem Kapitalismus für einen Moment an ihnen fest. 1996 wurde das Stück uraufgeführt, der Schweizer Dramatiker bekam für seine Arbeit diverse Auszeichnungen. Widmer, der 2014 starb und im gleichen Jahr posthum in Fürth für sein Gesamtwerk mit dem Jakob-Wassermann-Literaturpreis geehrt wurde, hat mit seinen "Top Dogs" einen zeitgenössischen Klassiker geschaffen, dem Ute Weiherer (Dramaturgie und Regie) keinen heftigen Aktualitätsschub verpassen musste.
Die Typen, die sich auf der Bühne tummeln, zählen augenscheinlich zu den nachwachsenden Rohstoffen. Allzu vertraut sind doch nach wie vor die Hyperaktiven, Jobblinden, ausschließlich auf ihr Unternehmen sozialisierten Männer und Frauen, die sich für unersetzbar halten.
Plastik-Einhorn
Dabei ist ihnen der Akt des Entlassens ja durchaus vertraut, haben sie schließlich selbst oft genug an anderen ausgeübt. Eine Disziplin, für die ein Gefühlshaushalt auf Gefrierschrankniveau äußerst nützlich ist. Weitaus komplizierter stellt es sich dagegen für die Liga der plötzlich zutiefst Frustrierten dar, ihren Träumen und Wünschen nahe zu kommen. Die bleiben so utopisch wie das Plastik-Einhorn zum Aufblasen, das Regisseurin Weiherer als Requisit zur Verfügung stellt.
Für das hochmotivierte Ensemble der überzeugend stringenten Inszenierung ist dieses erbarmungswürdige Bestiarium ein gefundenes Fressen. Rike Frohberger, Tatjana Grumbach, Ursula Hähner, Karsten Kunde, Jörg Scheiring, Uwe Weiherer und Bert-Peter Wendt arbeiten in jeder Figur sehr deutlich die spitze Überzeichnung heraus, die den Witz hervorlockt. Platz für Zwischentöne bleibt da nicht, was die Kategorisierung in passende Schubladen einfach macht.
Große Litanei
Zum verbalen Hochleistungssport gerät die vorletzte Sequenz, wenn die sieben Darstellerinnen und Darsteller zur großen Litanei ansetzen, um inbrünstig Unternehmensnamen und Bilanzen zu skandieren. Das mutet an wie ein Klagelied, unerhört dargebracht vor dem Altar der Globalisierung und der internationalen Finanzmärkte.
Vermutlich noch weniger Nachhall hat freilich die rührende Utopie, die Uwe Weiherer in seiner Rolle als Ex-Führungskraft entwickeln darf: Ein schönes Stück Prosa über eine Welt, in der alle guten Willens sind, nichts und niemandem ein Leid angetan wird.
Die Realisierung dieser Utopie wird zwangsläufig vertagt. Der voraussichtliche Termin dürfte mit der allerersten, wirklich zuverlässigen Sichtung eines leibhaftigen Einhorns zusammenfallen.
"Top Dogs": Kulturforum, Große Halle (Würzburger Straße 2). Weitere Termine: Samstag (20 Uhr), Sonntag (16 Uhr), 18. bis 20. (20 Uhr) und 21. Oktober (16 Uhr). Karten in der FN-Geschäftsstelle (Schwabacher Straße 106, Tel. 2 16 27 77) und an der Kufo-Kasse.
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