OB Jung im Interview: "Die Grünen haben gewisse Hürden aufgebaut"

Wolfgang Händel

Leiter Lokalredaktion Fürth

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19.3.2020, 10:00 Uhr
OB Jung im Interview:

© Hans-Joachim Winckler

Herr Jung, es war ein für Sie sehr erfreulicher Wahlerfolg. Kann man den in Zeiten des Coronavirus überhaupt richtig feiern?

Also, das Thema Feiern ist im Moment wirklich keines, aber man kann sich freuen. Und gefreut habe ich mich natürlich schon, aber ich spüre jetzt auch eine Erwartungshaltung, die in der Form für mich neu ist.


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Inwiefern?

Es haben mir Menschen mit unterschiedlichsten Wünschen ihr Vertrauen geschenkt. Ein Beispiel: Dasselbe Haus in der Südstadt, die einen haben zu mir gesagt, ich wähle Sie, aber Sie müssen dafür sorgen, dass ich endlich einen Parkplatz finde – verständlich. Und die anderen haben zu mir gesagt, Herr Jung, schaffen’S endlich die Parkplätze hier ab und pflanzen’S Bäume in die Straße. Auch verständlich.

 

Und die Lösung?

Das ist die große Herausforderung, unterschiedlichsten Interessen gerecht zu werden. Es wird nicht mit einer Pauschallinie gehen. Man muss sich jede Straße anschauen, jede Gegebenheit und dann überall versuchen, das Bestmögliche hinzubekommen.

 

Und das, wollen Sie damit sagen, hat für andere Themen genauso seine Gültigkeit . . .?

Eigentlich ja. Meine Mitbewerber haben versucht, zum Beispiel beim Parken Extrempositionen zu propagieren. Ich glaube, dass ich von vielen gewählt wurde, weil ich mich um den Ausgleich von Interessen bemühe und nichts überstürze.

 

Also der berühmte, von Ihnen bereits des Öfteren bemühte Kompromiss...

Genau, Kompromiss ist doch das Wesen der Demokratie, und es ist doch erfreulich, dass mal ein Mensch gewählt wird, der sich dafür einsetzt und keine schnellen, billigen, radikalen Lösungen verspricht.

 

80 Prozent 2008, 73 Prozent 2014 und jetzt noch einmal annähernd genauso viel: Muss ein Rathauschef da nicht zwangsläufig abheben?

Nein, wenn man abhebt, spüren die Leute das sofort. In fast allen Mails an mich wird betont, wie bürgernah ich bin, und ohne Bürgernähe ist so ein Ergebnis auch nicht denkbar. Deshalb fand ich es auch so an den Haaren herbeigezogen, wenn man mir im Wahlkampf ein Demokratie-Defizit unterstellt hat.

 

So herausragend das Ergebnis für den SPD-OB ist – Ihre Partei hat erheblich verloren, die absolute Mehrheit ist dahin. Woran liegt’s?

Das liegt natürlich daran, dass die SPD auf allen politischen Ebenen einen Vertrauens- und Bindungsverlust hat. Man muss aber auch sagen, dass die SPD hier in Fürth nach meiner Kenntnis mit 43 Prozent das beste Ergebnis in ganz Deutschland erzielt hat.

 

Es gibt natürlich auch Stimmen, denen zufolge die Fürther Sozialdemokraten in zwei Stadtratsperioden mit bequemer absoluter Mehrheit zu abgehoben, manche sagen, zu arrogant geworden seien. Ist das vielleicht die Quittung dafür?

Ich kann diese Wahrnehmung nicht teilen, die SPD hat versucht, eine vernünftige Politik der Mitte hinzukriegen und dabei auch immer von irgendjemand Unterstützung bekommen – häufig allerdings von der Union, das muss man schon auch ehrlich sagen, gerade bei den zentralen Projekten wie Wochenmarkt oder Neue Mitte.


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Augenfällig ist der Aufschwung der Grünen, die ihren Stimmenanteil fast verdoppelt haben und im Rat dementsprechend mehr Gewicht bekommen. In der Vergangenheit haben Sie als OB manchmal ungeduldig bis rüde auf das Öko-Lager reagiert. Werden Sie künftig mehr auf die Grünen zugehen?

Da muss ich klarstellen: Ich habe nie auf grüne Themen ungeduldig reagiert, sondern, wenn längst Entschiedenes zum zehnten Mal wiederholt wurde. Ich muss da ja auf eine gewisse Sitzungsdisziplin achten.

 

Es wäre wahrscheinlich auch nicht klug, das derart aufstrebende grüne Lager in Zeiten des Klimawandels einfach links liegen zu lassen . . .

Das Thema, das die Grünen ja besonders vertreten – Verkehrswende und Klimaschutz – wird die kommende Stadtratsperiode beherrschen. Ich sehe darin aber kein grünes Monopolthema, sondern einen Wettbewerb der Parteien.

 

Ohne die absolute SPD-Mehrheit im Rücken müssen Allianzen geschmiedet werden — entweder bei jeder einzelnen Entscheidung oder dauerhaft. Streben Sie eine feste Koalition an, wie sie in Nürnberg ja schon länger üblich ist?

Ich stelle mir ein Modell vor, das auf keinen Fall die Partner zu einem Miteinander in allen Fragen zwingt. Das wäre künstlich und würde eine gewisse Lebendigkeit wegnehmen. Aber es gibt schon ein paar Sachen, wie zum Beispiel die Wahl eines Bürgermeisters oder die Verabschiedung eines Haushalts, die ich nicht Partei-Launen überlassen will.

 

Launen?

Die Grünen zum Beispiel haben den letzten Haushalt nicht etwa aus inhaltlichen Gründen abgelehnt, sondern weil ihnen die Sitzungsführung zu straff war. Auf so etwas kann man sich natürlich nicht einlassen.

 

Also doch im Zweifelsfall lieber die CSU als die Grünen?

Man kann die Vergangenheit nicht einfach ignorieren, und in der Vergangenheit haben CSU und SPD vieles gemeinsam getragen, das von den Grünen abgelehnt wurde. Da sind schon sehr unterschiedliche Vorstellungen von Stadtpolitik vorhanden.

 

Was ist am Gerücht dran, dass es ein zweites Bürgermeisteramt neben dem von Markus Braun geben soll?

Fürth war bisher die einzige Großstadt in Bayern mit nur einem Bürgermeister, eben weil die SPD so stark war. Das ist jetzt vorbei, deshalb stellt sich die Frage tatsächlich erstmals nach 18 Jahren wieder.

 

Und wer hat Anspruch auf den zweiten Bürgermeisterposten? Die zweitstärkste politische Kraft wären ja nun die Grünen . . .

Ansprüche kann da niemand von sich aus stellen, die SPD wird entscheiden, mit wem sie ihre politischen Vorstellungen am ehesten durchsetzt. Sowohl mit den Grünen als auch mit der CSU gibt es nächste Woche Gespräche.

 

Und wohin geht die Tendenz?

Wir gehen offen in die Gespräche.

 

Aus dem bisher Gesagten ließe sich eher ein Vorteil für die CSU ableiten . . .

In den letzten sechs Jahren war schon oft eine Übereinstimmung da, ob das ausreicht, das müssen die Gespräche ergeben. Und wir müssen sehen, ob die CSU das überhaupt wünscht. Ich muss aber festhalten: Herr Salimi (OB-Kandidat der Grünen/Anmerkung der Redaktion) hat mir in einem Interview demokratische Gepflogenheiten abgesprochen, Herr Riedel (Fraktionschef der Grünen/Anmerkung der Redaktion) hat mich als Marktradikalen bezeichnet. Das sind harte Vorwürfe, mit denen die Grünen schon gewisse Hürden aufgebaut haben.

 

Apropos CSU: Das Mitleid mit dem einstigen politischen Hauptgegner war Ihnen am Wahlabend durchaus anzumerken. Haben Sie Tipps für die gebeutelten Christsozialen?

Die SPD hat so viel Personal in Führungspositionen verschlissen, ohne dass es viel genutzt hätte, deshalb mein Tipp: Man muss auch mal harte Zeiten durchstehen, ohne gleich in Panik zu verfallen.

 

Also lautet der Tipp des Oberbürgermeisters, weiter auf seinen klar unterlegenen Gegner Dietmar Helm zu setzen . . .

Ich sage nur: keine Panik, langfristig lieben die Leute Stabilität.

Im Stadtrat sind künftig nicht nur deutlich mehr angriffslustige Grüne vertreten. Für die Linkspartei sitzen mit Niklas Haupt, dem Sprecher des Bündnisses gegen Rechtsextremismus und Rassismus, sowie Ruth Brenner, seiner Vorgängerin auf dieser Position, zwei als diskussionsfreudig geltende Exponenten der linken Fürther Szene im Stadtrat. Da ist mit deutlich mehr Gegenwind als bisher zu rechnen. Wird Ihnen Angst und Bange?

Nein, das sind ja auch Menschen mit denen ich in Teilbereichen übereinstimme. Was ich natürlich befürchte, und das will ich gar nicht verschweigen, ist, dass mehr Ideologie in den Stadtrat gebracht wird. Ich fürchte auch, dass darunter die sachorientierte Diskussion leiden könnte.

 

Das führt uns zur AfD. Wie wollen Sie künftig mit den Rechtspopulisten umgehen, die es auf drei Sitze gebracht haben?

Sie sind gewählt und deshalb haben sie auch das Recht, im Stadtrat mitzuwirken. Ich gehe mal davon aus, dass sie das in einem demokratischen Rahmen tun. Keiner der künftigen Fürther AfD-Stadträte ist mir bisher als Exponent eines demokratiefeindlichen Flügels aufgefallen.

 

Es gibt natürlich jene, die sagen, man dürfe generell nicht mit Vertretern einer Partei zusammenarbeiten oder verhandeln, die zumindest in Teilen vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird . . .

Ganz klar, es wird von meiner Seite oder von Seiten der SPD keine Gespräche, Verhandlungen oder AfD-Beteiligungen an Entscheidungen geben. Ich werde auch darauf achten, dass der Stadtrat nicht zu einer Bühne für völkisches Gedankengut verkommt. Wir werden da sehr wachsam sein.

 

Noch einmal zurück zum Thema Coronavirus: Wie sieht denn die Arbeit des Rathauschefs derzeit aus? Gibt es überhaupt noch Termine und Kontakte?

Ich hatte noch nie zwei Wochen ohne Abendtermine, wie derzeit. Aber jetzt sind leider auch noch die Kinos zu, das hat eine gewisse Tragik. Ich fahre deshalb halt mit dem Fahrrad über Felder oder gehe mit meiner Frau spazieren. Auch schön.

 

 

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