Schulöffnungen: Fürther Soziologin warnt vor Leistungsdruck

14.3.2021, 16:00 Uhr
Zu viel Leistungsdruck bei Rückkehr in die Schule? Davor warnt eine Soziologie-Professorin aus Fürth.

© NN Zu viel Leistungsdruck bei Rückkehr in die Schule? Davor warnt eine Soziologie-Professorin aus Fürth.

Mit Blick auf Schulöffnungen warnt die in Fürth lebende Soziologin Nina Weimann-Sandig davor, sofort zum leistungsorientierten Regelunterricht überzugehen.

"Wir haben da Kinder und Jugendliche ab der siebten Klasse, die seit Monaten nur im digitalen Distanzunterricht saßen und kaum soziale Kontakte zu Gleichaltrigen hatten. Ein Großteil wird erhebliche Schwierigkeiten haben, sich wieder auf die normalen Schulstrukturen einzulassen."

Jugendliche zwischen 13 und 17 Jahren, die nicht in Abschlussklassen sitzen, seien "von der Politik weitgehend vergessen worden". Für diese Altersgruppe habe es auch keine Notfallbetreuung an den Schulen gegeben. Die Jugendlichen habe man sich selbst überlassen, wenn Eltern aufgrund ihrer Berufstätigkeit nicht zu Hause sein oder sie bei der Bewältigung der schulischen Aufgaben unterstützen konnten.

Flucht in "eigene Welten"

Schulöffnungen: Fürther Soziologin warnt vor Leistungsdruck

© Foto: Patricia Blind

Weimann-Sandig befürchtet eine weitere Verschärfung der Bildungsungerechtigkeit in Deutschland. Weil auch Horte, Sportvereine und Jugendzentren geschlossen waren, hätten sich viele Jugendliche stark zurückgezogen und seien "in ihre eigenen Welten geflüchtet oder in Computerspiele abgetaucht".

Die Folgen könnten sich zeigen, wenn Schulen wieder geöffnet werden: Aus Studien sei bekannt, dass sich aufgrund der langen sozialen Isolation depressive Gefühle eingestellt haben. "Konflikte mit Mitschülerinnen und -schülern oder Lehrkräften könnten sich nun zuspitzen", so Weimann-Sandig. Das Schulsystem sei darauf jedoch nicht vorbereitet, weil es an Sozialarbeit und psychologischem Fachpersonal mangle. Zudem fehle eine erweiterte Elternarbeit; die familiäre Corona-Situation der Familien sei den Schulen meist gar nicht bekannt.

Das Problem: "Wenn nun das auf Schulnoten basierende Systemdenken, Kinder nur als Leistungsträgerinen und -träger zu sehen, wieder beginnt, könnte es passieren, dass viele einfach dicht machen", warnt Weimann-Sandig. Ihr Rat: In den Schulen müsse zunächst wieder Selbstvertrauen aufgebaut werden. Die Jugendlichen müssten dort abgeholt werden, wo sie stehen. Dafür bräuchten die Bundesländer jedoch dringend einen größeren Stellenpool für die Schulsozialarbeit, so die Soziologin.


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"Wenn in den Phasen des Lockdowns überhaupt über Jugendliche gesprochen wurde, dann wurden sie auf die Schule reduziert. Doch sie haben noch andere Bedürfnisse und Rechte", sagt Weimann-Sandig.

Dabei habe Deutschland doch die UN-Kinderrechtskonvention unterzeichnet. Dennoch sei auffällig, dass in den meisten Corona-Gremien Spitzenverbände der Kinder- und Jugendfürsorge nicht vertreten sind.

Neue Strategien gefragt

"Das System Familie muss neu gedacht werden", fordert die Expertin und bringt einen strategischen "Arbeitskreis Kinder und Jugend" auf Bundes- und Landesebene ins Gespräch – mit Beteiligung der Bundes- und Landes-Jugendverbände und der wichtigsten Ministerien, vor allem aber von Kindern und Jugendlichen.


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Hier könnten Strategien für den Umgang mit Corona speziell für die Jüngeren erarbeitet werden. Auf kommunaler Ebene sollten dann Einrichtungen konkrete kreative Konzepte konzipieren und umsetzen, die man zur Not auch digital weiterlaufen lassen kann.

Skeptisch sieht Weimann-Sandig den Vorstoß etwa von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), den versäumten Stoff per "Summer School" nachzuholen. "Die Familien sind ausgebrannt und erschöpft, sie brauchen dringend die Ferien." Man müssen auch "einfach einmal wieder Familie sein dürfen".

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