Türken zwischen Angst und Zuversicht

13.9.2015, 10:00 Uhr
Türken zwischen Angst und Zuversicht

© Foto: AFP

Murat Bülbül saugt alles auf, was er zurzeit über die Lage in der Türkei lesen und sehen kann, was ihm Verwandte am Telefon erzählen – und was er hört, macht ihm Angst: „Wir dürfen nicht einfach wegsehen, sonst droht ein Bürgerkrieg in der Türkei“, warnt Zirndorfs dritter Bürgermeister (parteilos) eindringlich.

Die Spaltung des Landes, die Abkehr von der Demokratisierung treibe der machthungrige Präsident Recep Tayyip Erdoðan voran: „Er will einen Staat errichten, der sich an den islamischen Scharia-Regeln orientiert“, prophezeit Bülbül, der alevitische Wurzeln hat. Wenn sich die Spirale der Gewalt weiterdreht, werde es „lebensbedrohlich für viele Volksgruppen, die in der Türkei leben“. Auch die Kurden, fordert Bülbül, müssten sich für eine Fortsetzung des Friedensprozesses einsetzen. Bald möchte er selbst in die Türkei fliegen, wo er noch politische Kontakte hat, und seine Eindrücke danach dem europäischen Parlament schildern.

Ganz anders ist die Gefühlslage bei Sinan Akarca, der Obst und Gemüse auf dem Fürther Wochenmarkt am Bahnhofplatz verkauft. Von Beunruhigung keine Spur: Er jedenfalls hält es für ausgeschlossen, dass sich der Konflikt zum Bürgerkrieg entwickelt. Denn Kurden und Türken seien in den vergangenen Jahrzehnten zusammengewachsen. „Ich habe viele kurdische Freunde. Man geht zusammen in die Schule, in die Universität, man arbeitet zusammen. Es gibt viele gemischte Ehen, selbst im Militär sind sie zusammen.“ Seine Frau sei Halbkurdin: „Für welche Seite also soll ich sein?“ Und so wie ihm gehe es vielen.

Dass Einrichtungen der prokurdischen Partei HDP von Nationalisten angegriffen wurden, hat er gehört – dass auch Geschäfte brannten, nicht. Er mag es auch nicht so recht glauben. Solche Dinge sehe man nur in den Nachrichten. „Vor zwei Wochen waren wir im Urlaub in der Türkei, da war alles ruhig.“

„Viel Propaganda“

Unruhe bringen die Kurden aus dem Nordirak und aus Syrien, die für die PKK kämpfen, sagt seine Frau. „Sie wollen das Land von außen kaputt machen.“ Sinan Akarca setzt darauf, dass die Mehrheit der Menschen in der Türkei vernünftig ist: „In ein paar Wochen ist es wieder ruhig.“

Auch Erhan Cinar, der in Fürth lebt und dem Vorstand des Nordbayerischen Moscheen-Dachverbands ditib angehört, glaubt, dass die Mehrheit „sich nicht provozieren lässt“: „Die Menschen können gut einschätzen, dass in den sozialen Medien viel Propaganda für beide Seiten gezeigt wird.“ Cinar ist überzeugt: Das Land ist innenpolitisch stabil, anders als vor 15 Jahren.

„Die Terrororganisation PKK versucht, eine Spaltung zu erreichen, aber das werden sie nicht schaffen“, analysiert Cinar. Mit ihren Anschlägen provoziere die PKK, dass die Regierung mit Härte reagiert. „So können sie auf die Regierung zeigen und sagen: Schaut mal, wir beschützen euch.“ Beide Seiten, HDP und die Regierungspartei AKP, versuchten mit dem Blick auf Wählerstimmen, den Konflikt auszunutzen: „Vor Wahlen haben kleine Eskalationen in der Türkei Tradition.“

Cinar ist zuversichtlich, dass es nicht so weitergeht: Die Regierung habe die Ausschreitungen der Nationalisten verurteilt, und die Kurdenpolitikerin Leyla Zana habe alle Seiten aufgefordert, die Waffen niederzulegen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

1 Kommentar