Unendliche Geschichte: Gustavstraße beschäftigt München
7.9.2015, 11:31 UhrSeit mehr als vier Jahren ist kein Ende des Konflikts in Sicht, nun muss der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in München (VGH) ein Urteil sprechen, nach Informationen der Fürther Nachrichten ist bisher der 12. November als Verhandlungsauftakt vorgesehen: Einige Hausbesitzer und Anwohner eines beliebten Altstadt-Kneipenviertels in Fürth pochen darauf, dass es dort leiser wird. Sie sind wiederholt gegen Veranstaltungen vorgegangen, fordern aber auch, dass die Außenbereiche der Lokale bereits um 22 Uhr schließen müssen - so wie es ihrer Ansicht nach eine Lärmschutzverordnung vorschreibt, die 1968 erlassen und 1998 letztmalig überarbeitet wurde.
Das Verwaltungsgericht Ansbach hatte einen Hausbesitzer, der wünscht, dass vor den Kneipen um 22 Uhr Schluss ist, im Juli 2013 bereits im Recht gesehen und sich dabei auf die sogenannte TA Lärm berufen. Die Stadt ging in Berufung. Jetzt ist der VGH gefragt.
Die Gustavstraße an einem Donnerstagabend. Die Freischankflächen der Lokale sind sehr gut besucht, kaum ein Tisch ist frei. In der Gasse gibt es mehr als ein Dutzend Möglichkeiten zum Einkehren - Restaurants, Cafés, Bars. Auf 40 Metern Straße befinden sich gut 360 Sitzplätze im Freien. Die Stadt hat - wie viele andere Kommunen - den Beginn der Sperrzeit für diese Bereiche auf 23 Uhr festgelegt.
Die Bürgerinitiative "Wir sind die Gustavstraße", die sich im Laufe des Streits gegründet hat, um weitere Einschnitte zu verhindern, befürchtet das Aus der Feiermeile, sollte das Gericht den Klägern recht geben. Die Initiative wird von den Wirten und vielen Gästen unterstützt. "Und auch von vielen Anwohnern", betont Pohl.
"Grundsätzlich fordern wir die Einhaltung des gültigen Rechts und der Verordnungen", sagt der Hausbesitzer. Seinen Namen will er nicht veröffentlicht wissen, weil er wegen des Streits bedroht werde. Sein Eigentum in der Gustavstraße hat er vermietet. Er selbst wohnt seit einiger Zeit in Nürnberg, weil er den Lärm zum einen und die Anfeindungen zum anderen nicht länger ertragen wollte. Auch der neue Wohnort bringt die Mitglieder der Bürgerinitiative in Rage: "Jemand, der gar nicht mehr in der Straße wohnt, beschwert sich über zu viel Lärm", kritisiert Pohl.
Die sogenannte Technische Anleitung (TA) Lärm wurde 1968 erlassen und soll Anwohner nachts vor Lärm schützen. In Gebieten mit Gewerbe und Wohnungen darf demnach zwischen 22 und 6 Uhr von einem Betrieb nicht mehr als 45 Dezibel Lärm ausgehen. Schon kleinere Gruppen, die sich unterhalten, wären zu laut.
Allerdings legen die bayerischen Städte die Verordnung flexibel aus. So beginnt etwa auch in München die Sperrzeit für die Freiflächen der Gaststätten in der Regel um 23 Uhr. Kommt es zu Konflikten, werde zunächst nach einer gemeinsamen Lösung gesucht, sagt Daniela Schlegel vom Kreisverwaltungsreferat. Erst als letzter Schritt werde dann eine Lärmpegelmessung durchgeführt. In einem Pilotversuch durften im vergangenen Jahr einige Münchner Gaststätten von Juni bis August ihre Außenflächen sogar bis um Mitternacht öffnen, solange es keine Beschwerden gab. Der Versuch verlief laut Schlegel erfolgreich - die großzügigeren Öffnungszeiten für die Dauer von drei Sommermonaten für bestimmte Freischankflächen seien vom Stadtrat inzwischen genehmigt worden.
Ende vergangenen Jahres sah es so aus, als könne die Auseinandersetzung in Fürth beigelegt werden. In München trafen sich die streitenden Parteien, um in einer vom VGH angeregten Mediation eine gemeinsame Lösung zu finden. Elf Stunden wurde am zweiten Tag um Formulierungen gefeilscht. "Das war fast wie bei den Minsker-Verhandlungen", sagt Fürths Oberbürgermeister Thomas Jung (SPD). Die mit einem Hausbesitzer getroffene Vereinbarung wurde aber von den übrigen vier Klägern nicht akzeptiert; eine zweite Mediation am Verwaltungsgericht Ansbach scheiterte. Die Stadt Fürth, die mehrfach vor Gericht unterlegen war, hat inzwischen selbst ihr Veranstaltungskonzept für die Altstadt abgespeckt, um die "Lärmfracht" zu reduzieren. Sie hofft, dass der VGH dies ebenfalls berücksichtigt, wenn er ab November über den Alltagsbetrieb der Kneipen entscheidet.
Die Fürther Bürgerinitiative will unterdessen die Politik in die Pflicht nehmen: Sie hat rund 20.000 Unterschriften zur Änderung der Lärmschutzauflagen gesammelt. "Die Verordnung ist nicht mehr zeitgemäß", begründet Andrea Pohl den Vorstoß. Im Einzelhandel werde heute bis 20 Uhr gearbeitet. "Die Leute gehen später essen und wollen dann gerade bei schönem Wetter natürlich auch länger draußen sitzen bleiben." OB Jung sieht das genauso. Dennoch zögen Gerichte die Verordnung immer wieder heran.
Der Hauptkläger ist anderer Meinung: "Der Flair in der Altstadt lebt von Lebendigkeit und attraktiven Geschäften, aber aus meiner Sicht weniger aus Alkoholkonsum bis in die frühen Morgenstunden von wenigen feierwütigen Menschen." Wahrscheinlicher sei es, dass die Altstadt aussterbe, weil hier keiner mehr wegen des Lärms wohnen wolle.
Der Artikel wurde am 8. September um 15 Uhr geändert.
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