Wo gehen die Spenden hin?
Vom "Grünen Baum" bis zum Frankenkonvoi: So hilft Fürth der Ukraine
7.3.2022, 11:20 UhrDie Nachbarn
Eine Vision, einen Transporter und ein großes Netzwerk: Mehr brauchten Eduard Gross und Ömer Kocatürk aus Stadeln nicht, um eine Hilfsaktion anzuschieben. Den beiden Nachbarn war spätestens am Sonntag klar geworden, dass sie die Menschen in der Ukraine unterstützen wollen – und zwar schnell. Also baten sie ihre Familien um Zustimmung, handelten ein paar freie Tage mit ihren Arbeitgebern aus und starteten über die sozialen Medien einen Spendenaufruf. Über polnische Freunde fanden sie außerdem heraus, welcher Ort sich für die Übergabe der Hilfsgüter eignete.
Seit Montag waren alle voll eingespannt. Gross’ Frau verbrachte etliche Stunden am Telefon, derweil wurden am Stadelner Festplatz viele Spenden – von haltbaren Lebensmitteln über Spielzeug und Babybedarf bis hin zu Bettdecken und Kleidung – trafen derweil auf dem Stadelner Festplatz abgeliefert. Selbst die beiden Kinder des Paars, zwei und vier Jahre alt, gaben einige ihrer Kuscheltiere ab.
Am Dienstagabend wurde alles in den Sprinter geladen, den Gross einst für den Ausbau seines Hauses gekauft hatte. In einer Stunde war der Laster voll, erzählt der 34-Jährige – was nicht mehr hineinpasste, wird in der Garage zwischengelagert. Mit einer anderen Hilfsorganisation sollen auch diese Spenden bald in Richtung Ukraine fahren.
Gross und Kocatürk machten sich noch am Abend auf den Weg ins rund 1000 Kilometer entfernte Rzeszow. Der polnische Ort liegt etwa 120 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt; viele Flüchtlinge sind dort schon angekommen. 18 Annahmestellen haben polnische Hilfsorganisationen in der Stadt mit knapp 200.000 Einwohnern inzwischen für die Geflüchteten eingerichtet. Rund elf Stunden brauchten die beiden Stadelner dorthin. Abgeliefert haben sie die Spenden letztlich aber in einem Ort, der noch näher an der ukrainischen Grenze liegt. Dort waren schon Kräfte des polnischen Roten Kreuzes und der Bundeswehr. Professionell und schnell wurde abgeladen, erzählt Gross. In 20 Minuten war der Sprinter leer und er mit seinem Kompagnon auf dem Rückweg. Mit dabei: das gute Gefühl, geholfen zu haben.
Die Aktion im Gasthaus "Grüner Baum"
„Wahnsinn!“: Absolut überwältigt sind der Fürther Schausteller Helmut Dölle, seine Lebenspartnerin Marta und ihre Freundin Mia Stadelmann angesichts der Welle der Hilfsbereitschaft, die in die Gustavstraße, ins Gasthaus „Grüner Baum“ schwappte.
Marta ist anzumerken: Was in der Ukraine geschieht, geht ihr sehr nah. Die 35-Jährige hat ukrainische Freundinnen, sie selbst kommt aus Weißrussland, ihre Familie lebt noch dort. In diesen Tagen hat sie Angst, dass „das auch bei uns passieren könnte“.
Als sie am Wochenende ein paar Kartons zu einer Hilfsaktion in Nürnberg bringen wollte, sah sie: Der kleine Lagerraum dort reichte überhaupt nicht aus. Wenig später kursierte ihr eigener Aufruf im Netz. Sie durfte die Spenden in den Saal des „Grünen Baums“ lotsen, wo sie früher gearbeitet hat. Und sie hat Mia Stadelmann an ihrer Seite, emsige Administratorin der Facebook-Gruppe „Wohin in Fürth?“ mit mehr als 10.000 Mitgliedern. Der gemeinsame Aufruf verbreitete sich rasant, und binnen kürzester Zeit wurde aus dem Saal ein riesiges Spendenlager.
„Liebes Fürth: Du bist ganz großartig“, schrieb Stadelmann am Montagabend gerührt in die Gruppe. „Wir wurden so überrannt.“ Und weiter: „Ich hab heut’ x-mal geheult! Die ukrainischen und russischen Frauen, die den ganzen Tag mit mir geschuftet haben, sortiert, geschlichtet, geschleppt, telefoniert – diese Frauen sind meine Heldinnen.“
Freunde halfen, Fremde halfen, Arbeitgeber halfen. Jemand bot an, mit seinem Lkw die erste Tour zu übernehmen, am Dienstagabend erreichte er die ukrainische Grenze. Weitere Transporter folgten in den vergangenen Tagen. „Meine ukrainischen Freundinnen haben Kontakte vor Ort“ sagt Marta. „Sie wissen, wo man helfen kann, wo sich Menschen verstecken.“
Die Sammlung im "Grünen Baum" wurde bereits mehrfach verlängert. Auch in den nächsten Tagen noch können Spenden abgegeben werden (Mo. 8 - 18 Uhr, Di., Mi. und Do. je 14 bis 20 Uhr) – wer etwas vorbeibringen möchte, sollte unbedingt in die Facebook-Gruppe „Wohin in Fürth?“ schauen. Dort erfährt man, was noch benötigt wird. Kleidung definitiv nicht mehr: „Nein, auch nicht nur ein bisschen.“ Medikamente schon. Von einem Krankenhaus in Kiew hat sich Marta eine Liste schicken lassen.
Aktuell gebraucht werden (Stand Montag, 7.3., 11.20 Uhr): Windeln, Babynahrung, Babymilchpulver, Feuchttücher, Verbandskästen, Mullbinden, Medikamente wie Aspirin, Fieberzäpfchen, Paracetamol etc., Pflaster, haltbare Lebensmittel jeder Art, warme Baby- und Kleinkinderkleidung. Die Verantwortlichen bitten: "Die Waren bitte in Kartons und gut beschriftet abgeben. Keine Säcke, die müssen sonst alle von uns per Hand umgeräumt werden, das ist wahnsinnig anstrengend und zeitintensiv."
Der Frankenkonvoi
Bitte keine Sachspenden zu uns! Tom Geisbüsch wiederholt diese Bitte momentan sehr oft. Denn der Frankenkonvoi leiste „eine ganz andere Art von Hilfe“.
„Wir recherchieren immer erst vor Ort, was gebraucht wird“, sagt der 60-Jährige, der mit seinem Verein seit sieben Jahren Menschen in Not hilft. Nach der Flutkatastrophe packte er im Ahrtal mit an, der Frankenkonvoi unterstützt aber auch Geflüchtete in Calais oder Waisenkinder in Rumänien. Geisbüsch weiß: Hilfsstrukturen können kollabieren, wenn sie beispielsweise mit Kleiderspenden überflutet werden.
Auch nach Polen, an die ukrainische Grenze, hat er zusammen mit zwei befreundeten Organisationen – LandsAid aus München und 3 Musketiere aus Reutlingen – einen „Voraustrupp“ geschickt. Das Team ist in Kontakt mit Hilfsinitiativen vor Ort, weiß inzwischen, wo es tätig wird: in einem ehemaligen Hotel im polnischen Radymno, das zum Aufnahmelager geworden ist, aber auch in der Ukraine selbst, in der Nähe von Lwiw, wo es die Bevölkerung und das Militär unterstützen will, „weil wir mitbekommen haben, dass das hier oftmals Ein- und Dasselbe ist“. Auf der Facebook-Seite „Frankenkonvoi“ teilt Geisbüsch Eindrücke und Bilder seiner Mitstreiter.
Sie wollen örtliche Verteilstellen (für die Bevölkerung und Flüchtende) und Checkpoints beliefern. „Viele Zivilisten wollen ihr Land verteidigen“, sagt Geisbüsch. „Es bleiben auch viele Frauen.“ Dramatisch sei die Lage auch an der polnischen Grenze. Vieles werde man vor Ort kaufen, um die lokale Wirtschaft zu unterstützen.
Helfen kann man dem Frankenkonvoi also mit Geldspenden – mehr als 27.000 Euro sind für die Ukraine bereits zusammengekommen. Am Dienstag fährt Geisbüsch selbst los, mit einer Tonne Suppenpulver, „für viele Tausend Menschen“. Eine rumänische Familie, die vom Frankenkonvoi unterstützt wird, hat sich derweil auf den Weg an die rumänisch-ukrainische Grenze gemacht, um auch dort Leid zu lindern.
Spendenkonto: Frankenkonvoi e.V., IBAN: DE 36 7625 0000 0040 8462 89, BIC: BYLADEM1SFU, Sparkasse Fürth
Das Nehemia-Team
Seit 1992 engagiert sich das Nehemia Team Fürth in Uzhgorod im Westen der Ukraine. In zwei Wochen hätte der Bürgermeister der Stadt mit knapp 120.000 Einwohnern eigentlich zu Besuch nach Fürth kommen sollen, um Einblicke in die Fürther Ämterstruktur zu erhalten. Der Krieg lässt dieses Treffen, aus dem auch eine Städtepartnerschaft hätte entstehen können, nun nicht zu.
Die Hände in den Schoß legen wollte man bei der Hilfsorganisation, die auf christliche Wertevermittlung setzt und neben der Ukraine Projekte in acht weiteren Ländern wie Thailand, Burkina Faso und Pakistan, unterstützt, nicht. Deshalb hat man sich entschlossen, zunächst Spendengelder nach Uzhgorod zu schaffen. Finanzielle Unterstützung, so Hans Heidelberger, sei momentan das, was dort dringend gebraucht würde.
Denn, so weiß der 68-Jährige, der den Verein 1987 gegründet hat und ihm bis 2021 auch vorstand, täglich treffen mehr Flüchtlinge in der Stadt unweit der ungarischen und slowakischen Grenze ein. Um die, die nicht weiter über die Grenze reisen wollen, unterbringen zu können, hat der Verein einige seiner Gebäude geräumt. In der inklusiven Schule etwa liegen jetzt Matratzen in den Klassenzimmern; ein Zelt, das sonst Kinder eines Sommercamps beherbergt, wurde ebenfalls aufgebaut. Unterstützung sollen auch die Menschen bekommen, die sich in teils kilometerlangen Schlangen vor den Grenzübergängen einreihen, um ihre Heimat zu verlassen. Sie sollen mit dem Nötigsten versorgt werden.
Dafür hat der Verein in den vergangenen Tagen über einen Aufruf in den sozialen Medien bereits 50.000 Euro gesammelt – die Höhe hat Heidelberger überrascht und überwältigt. Auch Sachspenden sollen gebracht werden, seit Jahren kooperiert man dabei mit der Organisation "Oase Hersbruck", die die nötigen Laster haben. Nun allerdings ist die Zugmaschine defekt; frühestens in zwei Wochen könnte der Konvoi starten.
Vor wenigen Tagen hat Heidelberger ein konkreter Hilferuf aus Uzhgorod erreicht. Vier Großfamilien, die im Nehemia-Zentrum leben, so erfuhr er über eine Mitarbeiterin vor Ort, wollten nach Deutschland ausreisen. Ob sie nach Fürth kommen könnten? Spontan, so Heidelberger, habe er dies bejaht, sich danach erst darum gekümmert, wo die 34 Menschen unterkommen könnten. Inzwischen ist er fündig geworden. Vier Kirchengemeinden aus Fürth, Weisendorf und Erlangen haben zugesagt, die Geflüchteten aufzunehmen. Sie sind inzwischen eingetroffen.
Spendenkonto: nehemia team e. V., Betreff: Ukraine; IBAN: DE32 7625 0000 0380 0729 18.
Der Artikel wurde am 7. März um 11.20 Uhr aktualisiert.
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