Wenn Masken fallen

2.2.2015, 19:00 Uhr
Wenn Masken fallen

© Foto: Simona Fossi

Ein Leichenzug schleppt sich als Schattenriss über die Bühne. Auf einem Friedhof versinkt ein alter Mann im großen Vergessen. Melancholie will sich wie ein Schleier über die Stimmung legen.

Das fängt ja gut an. Doch, ehrlich, das tut es. Denn was die Masken-Menschen der Familie Flöz auf die Bühne zaubern, ist nichts anderes als der unendliche Kreislauf des Lebens mit seinen wesentlichen Stationen. Anfang und Ende gehören dazu. Anderes wie Beruf, Karriere, Pflichten und Alltag, der ganze vertrackte Mittelteil eben, fällt mit Nonchalance hinten runter und bleibt unerwähnt.

Was hier zählt, sind die wahrhaftigen, unverstellten Momente des Seins. Die Kinderzeit, zum Beispiel. Wenn wir unsere Emotionen ausleben, so wie sie uns gerade beuteln. Freude, Frust, was auch immer, wird unverhüllt präsentiert. Die Gefühlstarnung legen wir später an. So ehrlich zeigen sich meist erst wieder die ganz Alten. Ein guter Grund also, diese beiden Lebensphasen in den Mittelpunkt der fabelhaften Inszenierung von Michael Vogel und Hajo Schüler zu stellen. Gezeigt wird dabei nichts anderes als die Augenblicke, in denen unsere Masken fallen.

Dass die vier Darsteller Masken tragen, mag dann auf den ersten Blick paradox erscheinen, ist aber vollkommen einleuchtend. Ihr starrer Ausdruck, mit der ins Groteske spielenden Überzeichnung der Züge, zeigt beinahe schon Archetypen, die sich beim besten Willen nicht verstellen können.

Wie es diesen Larven-Wesen trotzdem gelingt, komplette Geschichten mit Vehemenz und innigem Ausdruck zu offenbaren? Darin liegt die große Kunst dieser Truppe. Alles hier ist Körperarbeit. Lieben, staunen, neiden – Bewegungen und Gesten erklären zweifelsfrei selbst die sensibelsten Regungen. So werden Szenen gebaut, die poetisch sind, immer überraschend und niemals sentimental. Was alleine schon ganz großes Theater ist.

Die Truppe, die 1996 im Ruhrgebiet gegründet wurde, versteht sich heute als internationaler Pool aus Schauspielern, Musikern, Tänzern, Regisseuren, Maskenbauern, Lichtdesignern, Kostümbildern. Treu geblieben sind sie ihrer Ursprungsidee: Flöz – das ist die Lagerstätte eines Rohstoffs wie Kohle zwischen Gesteinsschichten tief im Bauch der Erde. Nicht offensichtlich, kompliziert im Abbau – aber wertvoll.

Es gehört zum Geheimnis dieser längst in aller Welt gefeierten Compagnie, die in Fürth dank des Figurentheaterfestivals bereits mehrmals zu erleben war, dass ihrem wortlosen Spiel etwas Magisches anhaftet. Ein Beweis dafür liegt darin, dass es absolut nicht zu erklären ist, warum der Zuschauer irgendwann glaubt, Mimik in den starren Masken zu erkennen . . .

Die Erzählkunst der Familie Flöz ist obendrein großartig. Sie zeigen nichts anderes als im Grunde gewöhnliche Episoden zwischen Laufstall und Seniorenheim. Doch aus ihrem Blickwinkel wirkt Vertrautes plötzlich skurril. Nichts ist mehr selbstverständlich. Und auf einmal scheint in diesem Leben alles möglich zu sein.

Ein wunderbarer Theaterabend.

Keine Kommentare