Wie bei Paschulkes unterm Sofa

6.5.2015, 14:00 Uhr
Wie bei Paschulkes unterm Sofa

© Foto: Tim Händel

Lukas tanzt. Am liebsten mag er derbere Klänge, da kann er richtig stampfen. Aber Reggae liegt ihm auch, dabei dreht er sich sanft im Kreis. Der 13-Jährige ist mit seiner Mutter zum 5. Fürther Inklusiven Soundfestival ins randvolle Kulturforum gekommen. Und wie er die Musik genießt, ist einfach die Show. Er tanzt — von Anfang bis Ende, ohne Pause.

Lukas hat das Down-Syndrom. Für den Spaß an den Liedern und an der Bewegung spielt das keine Rolle. Wieso auch? Hier geht es nicht um Perfektion, sondern um die gemeinsame Freude, um das Zusammenkommen. Lukas kennt zwar noch niemanden, knüpft aber schnell Kontakte. Während die erste Band spielt, die „Route Rockers“ aus München, trifft er ein Mädchen aus Dortmund, das mit dem „Tanzorchester Paschulke“ angereist ist. Weil die erst später auftreten, hat sie Zeit.

Schon bald fasst Lukas sie an den Händen, und sie legen eine flotte Sohle auf das Parkett. Das ist bei den „Route Rockers“ gar nicht schwer. Mit ihrem Hitmix von Deep Purple über AC/DC bis zu Pink Floyd treffen sie ins Schwarze. Besonders gut kommt „No woman, no cry“ von Bob Marley an. „Wir bestehen noch nicht lange, erst seit 2012“, erklärt Leiter Franz Meier-Dini. Dafür klingen sie allerdings hervorragend. In Franken fühlen sich die Bayern wohl. „Fürth ist schön. Mir sind die vielen alten Häuser aufgefallen, es wirkt so lebendig“, meint Sängerin Johanna.

Dann erklimmen „GrenzenLos“ aus Bochum die Bühne. Das Team um den quirligen Rainer Buschmann, der nonstop herumhüpft und dirigiert, besteht aus internationalen Musikern, zum Teil Profis. Sie stammen aus der Türkei, dem Iran und Deutschland, ihr Repertoire umfasst Stücke aus Rumänien, Serbien, Ukraine, Türkei, Persien. Im Mittelpunkt: Recep Serber am Kanun, einer trapezförmigen Kastenzither, sowie die Schwestern Hellen und Hooriyeh Parchami an den Violinen, die dazu auf Persisch singen. Ein toller Auftritt, eine musikalische Entdeckungsreise, die neben den Künstlern auch Kulturen integriert. So wird hier Klezmer mit Balkan-Beats, Orientalisches mit Osteuropäischem, Modernes mit Traditionellem vereint. „Fürth ist Klasse“, sagt Rainer Buschmann. „Wir sind auch beim Protesttag zur Gleichstellung in der Innenstadt gewesen und haben tolle Erfahrungen gemacht. Man hat uns gleich Essen und Trinken angeboten“.

Nach der Pause gibt es eine Überraschung: Ein Flüchtling aus Äthiopien tritt als Artist auf. Er kann auf den Händen gehen, auf Flaschen stehen, auf einem Brett Handstand machen, das auf Bällen rollt. Auch das ist für Musikschulleiter, Festival-Chef und Moderator Robert Wagner gelebte Inklusion.

Nun sind die Lokalmatadore an der Reihe, „Vollgas Connected“ von der Musikschule Fürth. Durch die ganze Republik sind sie schon getourt, haben dafür gesorgt, dass Menschen mit Behinderung eine musikalische Ausbildung erhalten. So hochkarätig, wie sie sich präsentieren, ist es überflüssig und unwichtig, immer wieder das Thema Handicap zu erwähnen. Die Querflöten klingen glasklar, das Akkordeon bringt Power ins Spiel, die Gitarre webt kunstvolle Melodiefäden, der Bass legt ein solides Rhythmusfundament, und die Perkussion ist äußerst schlagkräftig.

Im Vordergrund stehen die drei Gesangstalente Anna Dolliner, Madina Frey und Jürgen Pickel mit ihren phänomenalen Röhren. Besonders Madina gelingt alles, von „ I will survive“ bis zu „Lemon tree“. Begeistert singen die Gäste mit. Pop, Jazz und Rockiges vom Feinsten, das macht Stimmung. Auch Lukas macht mit, aus voller Kehle.

Ruhrpott-Balkan

Den Abschluss bildet das „Tanzorchester Paschulke“ aus Dortmund, daher muss sich nun auch Lukas’ Tanzpartnerin von ihm verabschieden. Die Truppe hat sich verkleidet, ein paar Frauen als Putzleute, andere als Arbeiter oder schräge Vögel. Sie legen mit einer ungeheuren Energie los, wenden sich der Musik des Ostens zu, aber in ihrem eigenen Stil, so dass etwas erklingt, was sie „Ruhrpott-Balkan“ nennen. Polka wummert, Blasmusik fährt in die Beine, comedyhafte Elemente ergänzen den saftigen Sound. Ob Shtetl-Fest, Hochzeitsrundtanz, Lagerfeuer-Party – die Paschulkes sind dabei.

Und bald weiß keiner mehr, wer hier als gesund oder als krank gilt. Schließlich ist Musik die internationale Sprache schlechthin, die nicht übersetzt werden muss. Jeder versteht sie, jeder macht mit. Ein wahr gewordener Traum.

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