Neue Sommerserie
Gänsedreck und Unrat am Wöhrder See: Der Mann hinter dem Kot-Sauger
16.7.2021, 13:30 UhrWieder hat jemand ein Unterhemd in Johann Totas Wohnzimmer vergessen. Der weiße Stoff ist vergilbt und feucht, schlaff hängt es neben einem Baum. Johann Tota wird das Unterhemd erst ganz zum Schluss mitnehmen, vielleicht wird es vermisst und noch abgeholt, bevor er und seine Kollegen die Norikusbucht wieder verlassen. Nach fast vier Stunden Arbeit werden sie beladen sein mit dem, was ein Sommertag in einer der beliebtesten Grünanlagen Nürnbergs mit sich bringt: Unrat und Gänsekot, von beidem derartig viel, dass sich damit mindestens 40 große Müllsäcke füllten lassen.
Einst war der Wöhrder See im Stadtosten so unansehnlich, dass es Vorschläge gab, ihn doch gleich zuzuschütten. Jeder Regenguss spülte noch mehr Sand in das ohnehin flache Gewässer, in jedem Sommer faulten Algen im brühwarmen Wasser. 2015 verkündete Markus Söder, damals bayerischer Heimatminister, der Wöhrder See werde renaturiert und Attraktionen noch und nöcher erhalten, der Algenpfuhl soll sich in die "Copacabana Nürnbergs" verwandeln. Söder trug bei dieser Ankündigung hohe Gummistiefel. Hinter ihm erschien wie aus dem Nichts ein Stand-up-Paddler. Wie sich später herausstellte, wurde der Mann gebeten, für ein idyllisches Fotomotiv zu sorgen.
Es ist Johann Totas vierter Sommer am Südufer des Wöhrder Sees. Der 60-Jährige hat früher als Fenstermonteur gearbeitet, und als das zu Ende ging, wechselte er zur Noris-Arbeit (NOA), einer Tochtergesellschaft der Stadt Nürnberg. Die Gesellschaft berät, beschäftigt und qualifiziert Arbeitslose, das Ziel ist die Ermöglichung eines selbstbestimmten Lebens.
Gänse im Schlepptau
Tota ist einer von 50 Mitarbeitern der NOA, die sich täglich um die Grünanlagen kümmern. Zusammen mit seinen Kollegen Dieter Filp und Sascha Grimm ist er immer nur am Wöhrder See im Einsatz. Die sanft gerundete Badebucht, die große Uferwiese, der Wasserspielplatz und der Fitnessparcours ziehen viele Hundert Menschen an – im Schlepptau folgen etwa 180 Kanada- und Graugänse. Während Filp und Grimm den Menschen hinterher räumen, sammelt Tota vor allem den glitschigen Gänsedreck ein. Rund zwei Kilo Kot in etwa 170 Portionen scheidet eine ausgewachsene Gans pro Tag aus, heißt es beim Landesbund für Vogelschutz (LBV).
Dieser schmierige Kot ist überall, auf den Radwegen wird er zu grünlichem Mist platt gefahren, auf Gras und im Sand verklumpt und zerläuft er, "und dann kann sich niemand mehr hinsetzen", bedauert Johann Tota. Seine Lieblingsanlage sei das, sagt der 60-Jährige mit einem kleinen Lächeln. "Das hier ist wie mein Wohnzimmer", er habe es gerne sauber, "meine Herzensangelegenheit".
Dass sein Wohnzimmer täglich aufs Neue verschmutzt wird, nimmt er gleichmütig hin. Er und sein Chef Olaf Schmidt haben sich vor Jahren für einen Spezial-Traktor entschieden, der eine Kehrmaschine mit Bürsten hinterher zieht. Die Bürsten hängen dicht über dem Boden, rotieren während der Fahrt und schleudern dabei alles, was sie fassen können, nach oben in ein Auffangnetz.
Eigentlich ist die Kehrmaschine dafür entwickelt worden, um Pferdeäpfel einzusammeln, "aber wir sind erfinderisch", sagt Schmidt. Wie geplant verfangen sich auch Zigarettenkippen, Federn, Flaschenverschlüsse, Papierfetzen und kiloweise Gänsekot im Netz. Nur nach Starkregen kann die Maschine nichts einsammeln, dann liegt der matschige Müll zu flach auf dem Boden. Johann Tota lenkt den Traktor über die Wiese, er fährt Schleifen, die grasenden Gänse laufen gemächlich ins Wasser. Sobald der knatternde Traktor verstummt, sind die Tiere schnell wieder da.
Hier finden Sie alles über die Wasserwelt Wöhrder See.
In den Jahren vor Corona gab es zusammen mit der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg ein Projekt, bei dem Experten Gänse-Eier durch Beton-Eier austauschten. Nach Angaben der Stadt war diese Methode erfolgreich, die Population ging zurück. Doch nun sind es wieder so viele wie zuvor.
Tota erinnert sich an den August 2018, als Bürgermeister Christian Vogel acht Gänse abschießen ließ. Dass Unbekannte mit Edding bei dem Hinweisschild "Norikusbucht" das Wort "Norikus" durch "Mörder" ersetzten, war harmlos. Doch aus ganz Deutschland kamen damals Mails, in denen sich riesengroßer Hass entlud. "Dich blöde Sau würde ich gerne angeschossen im See sehen", schrieb jemand aus Karlsruhe.
"Was ist das für ein Signal?"
"Ich bin gegen das Abschießen", sagt Tota, er sei ein Tierfreund. Er mag auch Menschen, "diese Anlage ist sehr gut, hier kann man hin, wenn man zum Beispiel kein Geld für’s Freibad hat, für den Eintritt und das Essen dort. Der viele Müll ärgert mich, aber ich kann die Anlage nicht so schmutzig lassen." Olaf Schmidt grollt: "Was ist das für ein Signal, dass wir den Dreck hinter ihnen weg machen!". "So sind sie, die Menschen", sagt Johann Tota und zupft das feuchte Unterhemd vom Baum.
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