Am Altmühlsee: Pflichtbewusstein und etwas "Baywatch"
9.7.2017, 07:02 Uhr(Platzhalter))Der Altmühl-Bote hat solch ehrenamtlich tätige Menschen besucht, sich ihre Arbeit zeigen lassen und nach den persönlichen Motiven für ihre Hilfsbereitschaft gefragt. Diesmal geht es an den Altmühlsee zu Christoph Haller, dem technischen Leiter der Wasserwacht Gunzenhausen.
"Ich will zu meiner Mama!" Das kleine Mädchen in der Wachstation der Wasserwacht beim Seezentrum Gunzenhausen (Schlungenhof) ist in Tränen aufgelöst und nicht einmal in der Lage, seinen Namen deutlich zu sagen. Ein Badegast hat sie hierher gebracht, da sie am Parkplatz weinend durch die Gegend lief. Jetzt gibt es erst einmal Spezi, damit sie sich an etwas festhalten kann, und zur Beruhigung die Versicherung: "Wir suchen die Mama!"
Christoph Haller nimmt erst einmal ein wenig die Aufregung aus der Vermisstensache. Nachdem das Mädchen am Schreibtisch mit dem aufgeschlagenen Wachbuch Platz genommen hat, schlägt er vor, den Drehstuhl doch zum Fenster hin zu drehen. So kann das Kind den Badebetrieb beobachten und selbst nach der Mama Ausschau halten.
Wieder mit der Familie vereint
Jetzt kommt auch das Gespräch in Gang, und das Kind sagt seinen Namen, weiß, wo es wohnt, kann aber keine Telefonnummer auswendig. Schnell hat der technische Leiter der Wasserwacht herausgefunden, dass ohnehin keiner zuhause ist, denn Mama, der Bruder und ein Cousin waren ja eben noch alle zusammen am Parkplatz. Dort hat die Sechsjährige ihre Familie zuletzt gesehen. Ein blaues T-Shirt hat die Mama an, und nachdem diese Auskunft gekommen ist, macht sich Wachleiter Simon Geuder gleich auf die Suche, an einem glutheißen Tag mit voll besetzten Parkplätzen kein leichtes Unterfangen. Nach wenigen Minuten steht die Mama dann vor der Tür – sie hat sich zu den Helfern durchgefragt, und Mutter und Tochter fallen sich in die Arme.
Für die Kleine war dies ein Drama, für den Christoph Haller ein schönes Beispiel für den Alltag auf der Wachstation: "Wir sind die Guten!", sagt er nur halb scherzhaft, wenn er von seiner ehrenamtlichen Arbeit spricht. Solch eine am Parkplatz vermisste Mama sei ja ein einfacher Fall. Schlimmer sei es, wenn die Mutter ihren kleinen Sohn sucht, der eben noch am Wasser gespielt hat. Dann seien auf der mindestens mit vier Mann besetzten Wachstation alle in Alarmstimmung.
Wasserrettung und Taucheinsätze – das sind die Kernaufgaben der Wasserwacht. Beim Einsatz in der an allen Samstagen und Sonntagen sowie an den Feiertagen im Sommer besetzten Wachstation am Altmühlsee fallen auch viele kleinere und größere Sanitätsfälle an. Typisch sind allergische Reaktionen nach Insektenstichen, kleine Verletzungen oder Kreislaufproblematiken. Für solche Fälle sind die ehrenamtlichen Wasserwacht-Mitglieder bestens präpariert: ein Erste-Hilfe-Kurs, ein Sanitätskurs, ein Rettungsschwimmer-Abzeichen und eine Ausbildung zur Wasserrettung sorgen für den nötigen Hintergrund.
220 Mitglieder hat die Wasserwacht Gunzenhausen, und Christoph Haller ist als technischer Leiter gemeinsam mit Vorsitzendem Sebastian Beiersdorfer der Strippenzieher einer ungeheuer einsatzfreudigen Truppe. Über 4000 Helferstunden haben die Gunzenhäuser im ersten Halbjahr 2017 bereits absolviert. Ob beim Einsatz in der Schnelleinsatzgruppe zur Wasserrettung oder Vermisstensuche im gesamten Fränkischen Seenland, ob bei der Unterstützung des örtlichen Notfall-Sanitätsdienstes, ob in der Jugendarbeit, beim Aktiven-Training, als Verantwortlicher fürs Equipment, beim Taucheinsatz oder in der Ausbildung – Christoph Haller mischt überall ganz vorne mit. Auch die Homepage der Wasserwacht und der Facebook-Auftritt tragen seine Handschrift.
Der erst 27 Jahre alte Haller ist ein typisches Eigengewächs der Gunzenhäuser Wasserwacht. 2001 hat er als Elfjähriger zum ersten Mal beim Jugendtraining im "Juramare"-Hallenbad Gummiringe aufgetaucht und seither jede Gelegenheit zur Weiterbildung genutzt: Motorbootschein, eine fundierte Tauchausbildung und Qualifikationen als Ausbilder. "Als Mädchen für alles" bezeichnet er sich scherzhaft. Wer ihn beim Einsatz in der Wachstation beobachtet, sieht ihn eher als Motor und Motivator.
So mancher Verein in Gunzenhausen wird wohl die Wasserwacht um die vielen und größtenteils sehr jungen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer und den kameradschaftlichen Zusammenhalt beneiden. Auf die Frage, ob man denn viel rumtelefonieren müsse, um beispielsweise die vielen Wachstunden an der Station in Viererschicht zu besetzten, antwortet Christoph Haller gelassen: Das werde während des aktuellen Wachdienstes vereinbart, und eigentlich sei eh immer jemand da, heute seien es beispielsweise acht Leute statt der vorgeschriebenen vier.
Plaudern mit Badegästen
Es ist wohl die gute Mischung aus Gemeinschaftssinn und dem gewissen "Baywatch"-Feeling, das den Erfolg der Wasserwacht ausmacht. Drinnen gibt’s selbst gebackenen Kuchen. Draußen steht ein Helfer beim aus der Bundeswehrkaserne Roth ausgemusterten Artillerie-Fernrohr zur Strandüberwachung und plaudert mit neugierigen Badetouristen, die auch mal gucken wollen. Später dreht Christoph Haller mit Simone Geuder, Anne Betz und Annika Färber noch eine Motorboot-Runde. Fahrspaß pur, denn außer einem alten Mann, der außerhalb der Badezone zwischen den Segelbooten herumschwimmt, sich aber beim Anblick des Wasserwach-Einsatzbootes schnell wieder dem sicheren Ufer zuwendet, gibt es keine besonderen Vorkommnisse, und damit bleibt alles ruhig.
Ganz anders kann es werden, wenn ein Gewitter am See aufzieht. Da müssen die Wasserwacht-Kräfte dann schon mal reihenweise Surfer und Kite-Surfer, die Wind- und Wellengang überschätzt haben, aus dem Wasser ziehen. Sechs Wasserrettungseinsätze gab es 2017 bereits. Bei einem Einsatz musste ein Patient über Wasser von der Vogelinsel gerettet werden, da die Sanitäter ihn nicht erreichen konnten.
Die Tauchereinsätze in diesem Jahr waren bislang unspektakulär: Einmal ging es um die Bergung eines Pkw im Igelsbachsee, einmal gab es einen Naturschutz-Einsatz in Gunzenhausen bei der Altmühlbrücke. Dort wurden unter anderem zwei Fahrräder – eines davon Diebesgut – und zwei Registrierkassen – eine davon gehörte zu einem Raubfall – von den vier Tauchern geborgen. Im Winter kann es da schon spannender werden, nämlich bei der Eisrettung. Auch hier können Taucher eingesetzt werden, wozu – so ist es neue Vorschrift – aber ein Tauchtelefon angeschafft werden muss. Dies kostet 7000 Euro, und es muss noch ein großzügiger Sponsor für diese Sicherheitseinrichtung gefunden werden, ohne die es keinen Taucheinsatz unter Eis mehr geben darf.
Für die potenziellen Sponsoren hat Christoph Haller einen informativen Power-Point-Vortrag zusammengestellt, damit die komplexe Tauchtelefon-Technik erläutert werden kann. In den Natur- und Gewässerschutz will die Wasserwacht verstärkt einsteigen – auch hier engagiert sich der technische Leiter. Ob ihn das ehrenamtliche Engagement – ganz ohne Aufwandsentschädigung – denn beruflich weiterbringe? Dazu sei er noch nicht lange genug im Beruf, meint der Ingenieur für Materialwissenschaft, aber eins bringe das Ganze sicher: Man werde ein Teamplayer.
Keine Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen