Großes Medienaufgebot in Gunzenhausen
Bayerns erster Batteriezug nimmt in Mittelfranken Fahrt auf
5.2.2022, 13:10 UhrIm Englischen gibt es den Begriff von der photo op. Gemeint ist eine gute Möglichkeit, ein Foto und einen kurzen Film für die Veröffentlichung in Medien zu schießen. Man kann auch von einer arrangierten Gelegenheit sprechen. Jedenfalls gab es am Samstagmorgen in Gunzenhausen eine solche photo op. Ministerpräsident Markus Söder fuhr mit dem Zug, und zwar nicht mit irgendeinem.
Es ging um den Batteriezug "Talent" des Hersteller Alstom. Er verkehrt künftig an den Wochenenden auf der Strecke Gunzenhausen-Pleinfeld (Seenlandbahn). Die Woche über kommt er in Baden-Württemberg zum Einsatz, und zwar im Raum Stuttgart,. Die dortige Strecke ist elektrifiziert, die Seenlandbahn nicht. Der Testbetrieb des Fahrzeugs mit 163 Sitz- und 162 Stehplätzen läuft bis Anfang Mai dieses Jahres. Die Strecke im Seenland wird von der Bahn betrieben. Die hier entstehenden Mehrkosten übernimmt der Freistaat Bayern. Das war wohl der eigentliche Grund dafür, dass der bayerische Reierungschef persönlich erschien. Es galt, den neuartigen Hybridzug gebührend für die Öffentlichkeit herauszustellen. In der Tat kann "Talent" etwas, das andere nicht können.Er ist mit Energie aus Akkus unterwegs, und er kann mit Strom aus der Oberleitung fahren - eben hybrid. Das war dann auch kurz vor der Abfahrt zu hören. Der "Talent" hat Strom aus der Oberleitung am Bahnhof getankt und fuhr dann seinen Stromabnehmer ein, was mit einem lauten Knall verbunden war.
Geredet wurde erst später
Eigentlich sollte es eine kleine Begrüßungszeremonie in der Bahnhofshalle mit kurzen Ansprachen geben.Spätestens als Markus Söder eintraf und zielstrebig den Batteriezug ansteuerte, hatte sich das erledigt. Die "Pressemeute" war schnell zur Stelle und umringte Söder. Dieser fand noch die Zeit, dem Zugführer einen kurzen Besuch abzustatten und durch das dortige kleine Fenster zu schauen - es war eben eine photo op. Dann nahm er Platz und wartete auf die planmäßige Abfahrt um 10.16 Uhr. Die Ansprachen folgten dann bei der Ankunft in Pleinfeld. Die Sicherheitsleute des Ministerpräsidenten waren präsent, hielten sich aber zurück. Im Übrigen gab es in diesem Zug auch noch ganz normale Menschen - sie wollten einfach reisen. Dass sich mancher wunderte, was da eigentlich an diesem Morgen los war, versteht sich von selbst.
Der erste Eindruck: Für die Passagiere änderte sich an den nächsten Wochenenden im Vergleich zum normalen, mit Diesel betriebenen Zug kaum etwas. Der "Talent" ist neu, sauber und funktionell. Nur außen macht er viel her, da hat sich Alstom nicht lumpen lassen, auf die neue Technologie (die eigentlich gar nicht so neu ist) hinzuweisen. Da heißt es etwa "elektrisch.sauber.leise" und "bwegt", was auf Baden-Württemberg und die zweite gewählte Teststrecke Stuttgart - Horb hinweist. Ob die Bitte eines Bahnoffiziellen an die Fotografen, doch bitte so zu knipsen, dass Baden-Württemberg nicht auf den Bildern auftauchte, erfüllt wurde, ließ sich nicht ausmachen. Es gibt ja auch Wichtigeres.
50000 Kilometer geplant
Von der Deutschen Bahn AG kamen dann auch noch postwendend schriftliche Erläuterungen zu dem Hybridzug. Darin heißt es, dass die Strecken in Bayern und Baden-Württemberg sich wegen ihrer Topografie und der unterschiedlichen Steckenprofile gut für den Testbetrieb eignen. Sie ermöglichen einerseits eine hohe Laufleistung des Zugs, der bis Mai rund 50.000 Kilometer zurücklegen wird. Zudem können unterschiedliche Batterieaufladeszenarien getestet werden. So wird der Zug in Bayern ausschließlich an den elektrifizierten Ziel- und Startbahnhöfen Pleinfeld und Gunzenhausen direkt an den Oberleitungen aufgeladen, da die Strecke dazwischen nicht elektrifiziert ist. In Baden-Württemberg erfolgt die Aufladung während der laufenden Fahrt. Neben der DB als Betreiber sind die Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG) und die Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg (NVBW) assoziierte Projektpartner.
Hybrid statt Diesel
Seit 2016 entwickelt Alstom zusammen mit der TU Berlin, mit Unterstützung der Nationalen Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NOW) sowie einer Förderung des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr, den batterie-elektrischen Zug. Er ist ein möglicher nachhaltiger Nachfolger für Dieselzüge in Deutschland: insgesamt 450 Linien im deutschen Schienennetz werden bislang ausschließlich mit Dieselzügen befahren. Alternative Antriebe ermöglichen hier einen effizienten und emissionsfreien Betrieb. "Der knapp viermonatige Test auf Personenverkehrsstrecken in Bayern und Baden-Württemberg ist der nächste Schritt dorthin", lässt die Bahn wissen.
Mit im "Talent" saß auch Gunzenhausens Bürgermeister Karl-Heinz Fitz. Er ist natürlich erfreut, dass die Seenlandbahn für das Pilotprojekt ausgewählt wurde. In der Altmühlstadt wurden wiederholt Forderungen laut, dass es durchgehende Zugverbindungen nach Nürnberg und zurück geben soll - im Interesse der vielen Pendler. Mit dem Hybridzug könnten dafür die Aussichten steigen.
Wie berichtet bestehen noch weitere Pläne für Gunzenhausen. Der Bahnhof - die Gehwege und Wartebereiche an den Gleisen - soll für zig Millionen barrierefrei ausgebaut werden. Das sist grundsätzlich so beschlossen, 2026 soll es losgehen. Und das Bahnhofsgebäude selbst wird von der Stadt Gunzenhausen als Besitzer und Eigentümer aufwändig saniert und modernisiert, was auch dringend nötig erscheint. Es wird also bestimmt noch weitere photo ops am Bahnhof geben. Mal schauen, welche sehr wichtigen Personen dann erscheinen werden.
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