Das sagt der Fachmann

Chefarzt Dr. Priesmeier spricht über Boostern und Impfdurchbrüche

7.11.2021, 06:25 Uhr
Auch in den beiden Häusern des Klinikums Altmühlfranken steigt die Zahl der Patienten mit einer Covid-19-Erkrankung, unter ihnen auch Geimpfte. Letztere allerdings landen in der Regel nicht auf der Intensivstation, denn die Impfung schützt vor schweren Verläufen.

© Robert Michael, NN Auch in den beiden Häusern des Klinikums Altmühlfranken steigt die Zahl der Patienten mit einer Covid-19-Erkrankung, unter ihnen auch Geimpfte. Letztere allerdings landen in der Regel nicht auf der Intensivstation, denn die Impfung schützt vor schweren Verläufen.

"Warum habe ich mich dann überhaupt impfen lassen?", hört man derzeit immer öfter. Weil das Serum nach wie vor schützt, ist die klare Antwort von Experten wie Dr. Heiko Priesmeier, Chefarzt am Klinikum Altmühlfranken Gunzenhausen. Bereits zum Start der Impfkampagne im vergangenen Jahr waren die Fachleute davon ausgegangen, dass vor allem Risikogruppen nach rund einem halben Jahr eine Auffrischung benötigen, um weiterhin genügend Antikörper gegen das Coronavirus zu entwickeln. Diese Vermutung bewahrheitet sich jetzt.

Schutz vor schweren Verläufen

Es hat sich laut Priesmeier aber auch bestätigt, dass der Impfstoff richtig gut schützt. Denn über ein halbes Jahr herrschte Ruhe an der Covid-19-Front. Nun steigt die Zahl der Infizierten wieder, auch bei den über 60-Jährigen, die frühzeitig geimpft wurden. Unter den an Covid-19-Erkrankten in dieser Altersgruppe liegt die Quote der Impfdurchbrüche aktuell bei 59 Prozent. Dies müsse man allerdings vor dem Hintergrund sehen, betont der Kardiologe, dass 85 Prozent in dieser Gruppe vollständig geimpft sind.

Chefarzt Dr. Heiko Priesmeier geht davon aus, dass sich in absehbarer Zeit alle Ungeimpften mit dem Coronavirus infizieren werden.

Chefarzt Dr. Heiko Priesmeier geht davon aus, dass sich in absehbarer Zeit alle Ungeimpften mit dem Coronavirus infizieren werden. © Klinikum Altmühlfranken, NN

Das heißt, dass von 15 Prozent der Ungeimpften für etwa die Hälfte aller Infektionen und auch coronabedingten Krankenhausaufnahmen in dieser Altersgruppe verantwortlich ist. Die 7-Tage-Inzidenz in Bayern liegt für Ungeimpfte mit rund 450 um ein vielfaches höher als für Geimpfte mit rund 50.

Nicht nur das Infektionsrisiko ist nach Priesmeiers Worten für Geimpfte sichtlich reduziert, zudem schütze die Impfung zu über 90 Prozent vor schweren Verläufen. Eine Studie aus Los Angeles bestätige eine 30-fach erhöhte Hospitalisierungsrate von Ungeimpften im Vergleich zu Geimpften, nennt er ganz aktuelle Zahlen.

Der Star unter den Seren

Und er räumt auch gleich noch mit einem großen Irrtum auf: Kaum eine Impfung schützt zu 100 Prozent vor der Krankheit. Bei der Grippeimpfung sind es gerade einmal 40 Prozent, bei Mumps-Masern-Röteln 85 Prozent. Mit 90 bis 95 Prozent ist die Biontech-Impfung hier sogar noch der Star unter den Seren und laut Priesmeier "hochwirksam".

Israel hat nach seinen Worten gezeigt: die sogenannte Booster-Impfung, also nach einem halben Jahr eine dritte Dosis nachzuschieben, wirkt. Vor vier bis sechs Wochen ging in dem Nahost-Staat coronamäßig "die Post ab". Sehr schnell wurden daraufhin die über 60-Jährigen "geboostert", und schon nach zwölf Tagen verzeichneten die Ärzte einen elffachen Rückgang der Infektionen sowie der Schwere der Erkrankungen.

Unterschiedliche Empfehlungen

Für Verwirrung sorgen momentan unterschiedliche Aussagen, wer denn nun eigentlich eine solche Booster-Impfung benötigt, oder ob man nicht am Besten gleich allen Geimpften eine dritte Dosis verpassen sollte, wozu etwa der Weltärztebund-Chef Frank Ulrich Montgomery rät. Für Priesmeier sind hier die Empfehlungen der Stiko (Ständige Impfkommission) richtungsweisend. Die Vorgaben dieser Organisation hätten sich in der Vergangenheit stets bewährt, sie basierten auf verlässlichen Daten. Und die Stiko empfiehlt aktuell das Boostern nur für Risikogruppen.

Zu ihnen zählen die über 70-Jährigen, Mitarbeiter in den Krankenhäusern sowie die Bewohner von Pflege- und Behindertenheimen einschließlich dem dort arbeitenden Personal. Dazu kommen Menschen mit einer Immunschwäche und deren Angehörige. Und - auch das eine neuere Erkenntnis - diejenigen die die einmalige Impfung von Johnson & Johnson erhalten haben. Denn es habe sich gezeigt, dass hier ebenfalls eine zweite Impfung notwendig sei, erläutert Priesmeier.

Eine dritte Impfung schadet auch allen anderen Menschen nicht, stellt der Mediziner klar, doch sie benötigen sie derzeit nicht unbedingt. Angesichts der Tatsache, dass der Schutz vor Corona weltweit immer noch ein knappes Gut sei, sei deshalb die Frage nach der Booster-Impfung für alle eine ethische.

Dass die Zahlen im Augenblick so nach oben gehen, wundert Priesmeier nicht. Die Deltavariante habe sich als "unglaublich infektiös" erwiesen, da braucht es nicht viel, um in einem geschlossenen Raum richtig viele Menschen anzustecken. Es reicht schon eine Person - egal ob geimpft oder nicht - die mangels Symptomen gar nichts von ihrer Covid-19-Erkrankung weiß.

Wieder Infektions-Hotspots

Zwar ist die Infektiosität bei mit Biontech Geimpften um etwa zwei Drittel geringer als bei Ungeimpften, die infiziert sind, doch das macht die Deltavariante mit ihrer besonderen Aggressivität wett. Zusammen mit den gelockerten Corona-Regeln und der nachlassenden Impfwirkung bei Älteren kommt es deshalb immer wieder zu Infektions-Hotspots etwa bei Treffen in geschlossenen Räumen.

Priesmeier ist davon überzeugt: Wer aktuell nicht geimpft ist, "wird sich auf absehbarer Zeit mit dem Coronavirus infizieren". Für den Mediziner geht es deshalb letztendlich nicht darum, Infektionen zu verhindern, sondern es gelte, die Steilheit der Welle abzuschwächen und somit die Krankenhäuser nicht zu überlasten. Noch ist das Klinikum Altmühlfranken weit davon entfernt, dennoch: Zum Zeitpunkt des Gesprächs lagen drei Betroffene auf Intensiv, insgesamt wurden 26 Personen mit Covid-19 in den beiden Häusern Weißenburg und Gunzenhausen behandelt.

Dass Menschen, die sich nicht impfen lassen, ihre Gesundheit gefährden, ist im Prinzip ihr persönliches Problem. Allerdings, betont der Chefarzt, riskieren sie nicht nur ihr eigenes Wohlbefinden, sondern auch das von Menschen, die sich entweder nicht impfen lassen können – oder bei denen die Impfung nicht anschlägt. Priesmeier nennt hier beispielsweise Menschen, die ein neues Organ bekommen haben. Um zu verhindern, dass der Körper das Transplantat abstößt, müssen sie dauerhaft Medikamente nehmen, die ihr Immunsystem schwächt. Und das wirkt sich eben auch auf den Impfschutz aus.

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