Erinnerungen an den Luftangriff in Gunzenhausen
16.4.2015, 07:11 UhrDer 16. April 1945 ist für Stadtarchivar Werner Mühlhäußer wohl einer der bis heute "schwärzesten Tage" in der Geschichte der Altmühlstadt. 141 Menschen starben infolge des verheerenden Bombenangriffs, den amerikanische Fliegerverbände zwischen 10.10 und 11 Uhr auf die Stadt flogen. In fünf Wellen ließen die Piloten aus einer Höhe von rund 3500 Metern ihre todbringende Fracht auf Gunzenhausen fallen. Eine dieser rund 150 Bomben traf den Braunskeller, der von vielen Menschen als Luftschutzraum genutzt wurde.
Diesmal bot er keinen Schutz, sondern entpuppte sich als tödliche Falle. Eine einzige Bombe richtete Verheerendes an. Es war weniger die Explosion als solche, als die nachfolgende Druckwelle, die über 100 Menschenleben kostete. Ein "Inferno" war das, Vergleichbares gibt es laut Stadtarchivar Werner Mühlhäuser in der Geschichte Gunzenhausens nicht. Noch nie waren so viele Menschenleben an einem einzigen Tag in dem fränkischen Kleinstädtchen umgekommen.
Die Fliegerangriffe kamen nicht aus heiterem Himmel, in der Regel hatten die Menschen genügend Vorlaufzeit, um sich einen geschützten Platz zu suchen. So war das auch an diesem 16. April, als Elisabeth, Hildegard und Josefine Galster, wie viele andere aus Gunzenhausen, in den Braunskeller gingen. Die Familie Galster war erst vor wenigen Jahren nach Gunzenhausen gezogen, da Vater Dr. Karl Galster hier die Leitung des Ernährungs- und Wirtschaftsamts übernahm.
Schulaufsatz über Fliegerangriff
Womöglich dachte Elisabeth auf dem Weg in den vermeintlich sicheren Luftschutzraum noch an ihren Schulaufsatz, den sie im Jahr zuvor über den Angriff am 25. Februar 1944 geschrieben hatte. Beim Schlittenfahren war sie gewesen, als die Sirene losging, mit Mutter und Schwester hatte sie auch damals Schutz im Braunskeller gesucht und von den Bomben, die draußen explodierten und drei Menschen töteten, gar nichts mitbekommen. Nun sollte sie nie wieder einen Schulaufsatz schreiben. Karl Galster, der seine ganze Familie bei dem Angriff verlor, war ein politisch unbelasteter Mann und wurde deshalb nur wenige Wochen später im Mai 1945 von den Amerikanern als Landrat eingesetzt. Dieses Amt übte er bis zum Jahr 1958 aus.
Von überwiegend "ausgezeichneten Treffern" ist später in dem amerikanischen Rapport anerkennend die Rede, rund 70 Prozent der Bomben fanden ein Ziel. Sie trafen den Bahnhof, Gleise und Güterwaggons. Es wurden aber auch 358 Gebäude zerstört oder beschädigt, darunter Schuppen, Lager, Ställe und Nebengebäude, aber auch 24 Wohnhäuser.
So etwa das Gebäude Nürnberger Straße 18, dort wohnte und arbeitete der Sattlermeister Ludwig Prosiegel. Das Haus wurde komplett zerstört, er und seine Frau Julie kamen dabei ums Leben. Auch der bei ihm beschäftigte russische Zwangsarbeiter Nikola Fialtschuc wurde ein Opfer des amerikanischen Bombardements.
Tarnnetze sollten die Eisenwerke Loos vor den feindlichen Spähern verbergen. Diesmal halfen sie nichts, es traf auch eine Halle des sogenannten "kriegswichtigen Betriebs". Laut Stadtarchivar Mühlhäußer wurden dort zuletzt U-Boot-Minen hergestellt. Um die Produktion aufrechtzuerhalten, verfügte das Werk sogar über ein eigenes Lager für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter. 31 Männer und 64 Frauen ließen am 16. April 1945 ihr Leben beziehungsweise erlagen in den folgenden Wochen und Monaten ihren schweren Verletzungen. Den meisten von ihnen konnten Namen zugeordnet werden, doch vier Männer und vier Frauen wurden nie identifiziert. Vermutlich waren es eben Kriegsgefangene oder Zwangsarbeiter.
Für Mühlhäußer bestürzende Zahlen, besonders erschüttert haben den Stadtarchivar beim Blättern im Sterberegister aber die 46 Kinder, die im Bombenhagel starben. Das jüngste war gerade einmal ein paar Monate alt. Eines unter vielen furchtbaren Schicksalen ist das von Babette Trautner, die mit fünf Kindern im Alter zwischen fünf und 16 Jahren im Braunskeller umkamen. Lediglich ihr Sohn Werner überlebte.
Schwester Erika Glenk, im Mutterhaus Hensoltshöhe mit Verwaltungstätigkeiten betraut, hatte an diesem Montag Besorgungen in der Stadt zu erledigen und fand im Keller der Gastwirtschaft Kiebitz-Kamm Unterschlupf. Dicht gedrängt saßen dort die Menschen und erlebten, wie die keine 100 Meter von ihnen einschlagenden Bomben die Erde zum Beben brachten. Die Sirenen, das bedrohliche Brummen der Flugzeuge, das Sirren der fallenden Bomben, schließlich die Explosionen - es muss ein Höllenlärm gewesen sein. Geräusche, die bei den Überlebenden noch Jahrzehnte später Gänsehaut verursachten.
Bombentrichter versperrten Weg
Nach der Entwarnung wollte Schwester Erika zurück zum Mutterhaus, lief die Burgstallstraße hinauf, doch weiter als bis zum Möbelhaus Böckler kam sie zunächst nicht. "Da war ein Bombentrichter neben dem anderen" erinnerte sich die Schwester in einer Sonderausgabe des Altmühl-Boten anlässlich des 50. Jahrestags der Bombardierung.
Bis zu 30 Meter Durchmesser hatten diese Krater, sie waren 15 bis 20 Meter tief. Neun Jahre alt war Theo Ott damals und noch ein halbes Jahrhundert später erinnerte er sich gut an die fürchterlichen Verwüstungen. Mit seinem Großvater war er zum Stadtgarten gegangen und später in die Bahnhofstraße. Die Bombentrichter waren so groß, dass man ein Haus hätte hineinstellen können, beschrieb es der langjährige Stadtrat später, und die Gleise "ragten senkrecht in den Himmel".
Auch der 17. April war ein sehr sonniger Tag und erneut war die Altmühlstadt Ziel eines Fliegerangriffs. Die Bomberschwadronen der Amerikaner hatten einen guten Blick auf das Städtchen und das Muna-Depot im Bereich der heutigen Industriestraße, auf das sich die Angriffe diesmal konzentrierten. Das hatte man wohl, mutmaßt Mühlhäußer, tags zuvor vergessen.
Warum die Amerikaner so kurz vor Kriegsende noch ihre tödliche Fracht über Gunzenhausen abwarfen, darüber kann man nur noch spekulieren. Von strategischer Bedeutung für den weiteren Verlauf des Kriegs war das Bombardement aber mit Sicherheit nicht. Denn die Bodentruppen der Amerikaner standen zu diesem Zeitpunkt schon vor der Haustür, nur eine Woche später war in Gunzenhausen der Krieg vorbei. Am 23. April 1945 rückten die Amerikaner in der Altmühlstadt ein.
Den 70. Jahrestag dieser schlimmen Ereignisse nimmt die Stadt zum Anlass für eine Gedenkveranstaltung am Donnerstag, 16. April, um 19 Uhr in der Stadthalle. Neben Stadtarchivar Werner Mühlhäuser gestalten auch die Gunzenhäuser Schulen das Programm mit. Zudem wird bereits um 17.30 Uhr am Gemeinschaftsgrab auf dem alten Friedhof ein Kranz niedergelegt.
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