Dunkles Kapitel
Erinnerungen an die Machtergreifung Hitlers
27.1.2018, 06:08 Uhr"In Gunzenhausen ging es Schlag auf Schlag", erklärt der Archivar, der für unsere Serie wieder einmal tief in seinen historischen Schätzen gegraben hat. Aus seinen Unterlagen geht hervor, dass bereits 1919 erstmals Flugblätter in der Altmühlstadt auftauchen, in denen gegen Juden gehetzt wird. Im April 1920 soll der berüchtigte fränkische Antisemit Julius Streicher anlässlich einer "großen Volksversammlung" im Gunzenhäuser Gasthof "Fränkischer Hof" als Redner auftreten. Aus unbekannten Gründen findet diese Versammlung allerdings nicht statt. Im Oktober desselben Jahres sind die ersten Hakenkreuzschmierereien in der Stadt zu finden.
Immer wieder wird die jüdische Bevölkerung — in Gunzenhausen gab es zu dieser Zeit eine blühende Kultusgemeinde — angegangen. 1922 etwa werden 14 Grabsteine im jüdischen Friedhof beschädigt, im Januar 1923 dann mehrere Synagogenfenster eingeworfen. Am 19. Januar 1923 erscheint das erste bekannte Zeitungsinserat der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei, Ortsgruppe Gunzenhausen, im Altmühl-Boten. Es gilt als frühester Hinweis auf die Existenz einer hiesigen NSDAP-Ortsgruppe.
Streicher kommt 1923
Eine recht agile Gruppe, wie Mühlhäußer bei seiner Recherche feststellen musste, die am 9. März 1923 zu einer Volksversammlung in den Adlerbräusaal einlädt. Im dazugehörigen Inserat erscheint erstmals der Zusatz: "Juden ist der Zutritt verboten". Zum ersten verbürgten Auftritt von Julius Streicher kommt es am 13. Mai 1923. Mit dem dritthöchsten Stimmenanteil bei der Stadtratswahl im Dezember 1924 können die Nationalsozialisten drei Mitglieder in den Stadtrat entsenden.
Nach einer erneuten Grabschändung im jüdischen Friedhof 1929 spricht Bürgermeister Dr. Heinrich Münch von "einer traurigen Berühmtheit unserer Stadt". Zu diesem Zeitpunkt gehört Münch noch nicht der NSDAP an, was sich jedoch bis 1932 geändert hat: Er bekennt sich öffentlich als Parteimitglied, seine Ansprache: "Warum müssen wir nationalsozialistisch wählen?" wird mehrmals von stürmischen Beifallsbekundungen der 1000 Anwesenden unterbrochen, wie es in den alten Unterlagen heißt.
Im Jahr zuvor war es erneut zu Übergriffen auf die Juden in Gunzenhausen gekommen, Plakate mit der Aufschrift "Deutsche, kauft nicht beim Juden" werden herumgetragen. Unter den Rufen "Schlagt ihn tot, den Juden" wird der Kaufmann Guggenheimer überfallen und brutal verprügelt. Und es dauert nicht allzu lange, bis die letzte gewerbliche Annonce eines jüdischen Geschäfts in der Zeitung zu finden ist — man schreibt den 18. März 1933.
Dem vorausgegangen war die Vereidigung Hitlers als Reichskanzler am 30. Januar 1933. Diesen Beginn ihrer Machtübernahme feiern die Nationalsozialisten als "Tag der nationalen Erhebung". Die "deutschgesinnte" Bevölkerung in Gunzenhausen beflaggt zahlreich ihre Häuser und es gibt eine große nationalsozialistische Kundgebung im Brauhaussaal. Hauptredner ist Johann Appler (NSDAP-Ortsgruppenleiter in Gunzenhausen, Kreisleiter und ab 1935 Bürgermeister der Altmühlstadt), der seine Ansprache mit dem Schwur beendet: "Wir stehen und fallen, leben und sterben für den Führer Adolf Hitler."
Dankschreiben ist erhalten
In einer außerordentlichen Stadtratssitzung am 23. März 1933 beantragt die NSDAP-Stadtratsfraktion, Adolf Hitler zum Ehrenbürger der Stadt zu machen und den Marktplatz in Adolf-Hitler-Platz umzubenennen. Dieselbe Ehre soll Reichspräsident Hindenburg zuteil werden. Beide Anträge werden einstimmig angenommen. Hier ein Auszug aus dem Text der Ehrenbürgerurkunde Hitlers: "... in dankbarer Erinnerung der unsterblichen Verdienste, die er sich als todesmutiger deutscher Front- und Freiheitskämpfer, als entschlossener Retter vor grauenvoller marxistisch-bolschewistischer Flut und als Schöpfer deutscher Einigkeit und Einheit erworben hat". Hitlers Dankesschreiben an die Stadt für diese Würdigung mit Originalunterschrift ist im Archiv erhalten (siehe unsere Bildergalerie auf www.nordbayern.de/gunzenhausen).
Einen weiteren "Höhepunkt" erlebten die Nationalsozialisten in Gunzenhausen am 30. April 1933: In der Altmühlstadt wird Deutschlands erstes "Hitlerdenkmal" feierlich eingeweiht, womit Gunzenhausen erneut eine traurige Berühmtheit erfährt. Außerdem werden an diesem Tag mehrere SA-Flaggen in der evangelischen Stadtkirche geweiht, der damalige Dekan hält dazu die Predigt. Eine riesige Menschenmenge versammelt sich auch auf dem Marktplatz, um bei der Taufe zweier Segelflugzeuge dabei zu sein. Sie tragen künftig die Namen "Adolf Hitler" und "Dr. Münch".
Zum Boykott aufgerufen
Im Vorfeld dieses für Gunzenhausen "großen Tags" hatten die Nationalsozialisten in ganz Deutschland zum Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen. Ein Ruf, dem auch die hiesige SA, SS und Hitlerjugend folgen. Der Demonstrationszug durch die Straßen mündet auf dem Adolf-Hitler-Platz, wo Johann Appler vom Balkon der Stern-Drogerie in "markigen Worten" zur versammelten Menschenmasse spricht. Der 1929 demokratisch gewählte Stadtrat wird durch das Gleichschaltungsgesetz vom 31. März 1933 aufgelöst. Der neue NSDAP-Stadtrat hält am 27. April 1933 seine erste Sitzung im Rathaus ab und lässt sich stolz fotografieren.
Anfang April kommt es - nach einer ersten Welle zwischen dem 10. und dem 29. März 1933 — zu weiteren Verhaftungen: 61 Tage eingesperrt wird zum Beispiel der jüdische Kaufmann Martin Hellmann, früherer Schriftführer des Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Hans Matthold und Heindrich Vorbrugg, beides KPD-Mitglieder, sowie der ehemalige SPD-Stadtrat Andreas Albrecht werden ebenfalls in Schutzhaft genommen.
Doch all das sollte, wie man heute weiß, nur ein Vorgeschmack auf die kommenden Jahre unter der Machtherrschaft Hitlers sein - auch in Gunzenhausen.
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