Junge Frau aus Gunzenhausen erkundete Polen

Marianne Natalis

Altmühl-Bote

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16.4.2017, 17:30 Uhr
Junge Frau aus Gunzenhausen erkundete Polen

© Foto: privat

Wie so viele Absolventen des achtstufigen Gymnasiums wollte auch Hannah Priesmeier nach dem Abitur am Simon-Marius-Gymansium die Welt ein bisschen kennenlernen und etwas sinnvolles tun. Deshalb bewarb sie sich bei "kultur.weit", das unter der Trägerschaft der deutschen Unesco-Kommission steht, um ein halbes Freiwilliges Soziales Jahr. Sie dachte dabei an ferne Länder irgendwo in Zentralasien. Da die Plätze bei der Organisation sehr begehrt sind – Hannah war eine von 3000 Bewerbern um 250 Stellen – setzte sie ihr Kreuz bei "egal wohin".

Schnelle Entscheidung

"An Polen habe ich nie gedacht", gibt sie offen zu, das Land liegt doch eigentlich viel zu nahe. Viel Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen, blieb Hannah allerdings nicht. Zehn Tage Entscheidungsfrist hatte sie, als die Zusage im März vergangenen Jahres im Briefkasten lag. Und die Aussage war klar: Polen oder nichts.

Immerhin war ihre Präferenz bei den Partnerorganisationen von "kultur.weit" berücksichtigt worden. Im Auftrag des Pädagogischen Austauschdiensts sollte sie ab Herbst ein halbes Jahr als Assistenz im Deutschunterricht in einer Schule nahe Lublin wirken.

Letztendlich sagte sie zu, und auch wenn nicht immer alles eitel Sonnenschein war, so ist die 19-Jährige heute doch sehr froh, dass sie sich auf das Abenteuer Polen eingelassen hat. "Man wächst mit seinen Aufgaben", heißt ein Sprichwort, und wie bei so vielen jungen Menschen, die nach dem Abitur ins Ausland gehen, machte auch die Gunzenhäuserin diese Erfahrung.

Junge Frau aus Gunzenhausen erkundete Polen

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Die Woiwodschaft Lublin grenzt, ganz im Osten Polens gelegen, an die Ukraine. Die neuntgrößte Stadt des Landes zählt rund 360 000 Einwohner und galt einst als das jüdische Oxford, als Zentrum der jüdischen Kultur, wurde hier doch 1517 eine der ersten Talmudschule im weiten Umkreis eröffnet. Von der über 700-jährigen Geschichte der Stadt zeugen eine verwunschene Altstadt, in der modernen Neustadt findet sich das auch im westen übliche Innenstadtangebot.

24 Stunden dauert die Fahrt mit dem Zug von Gunzenhausen nach Lublin. Eine "coole Art zu Reisen", findet Hannah, zumal sie das Glück hatte, das Schlafwagenabteil für sich alleine zu haben. Zunächst aber ging es für alle FSJler nach Berlin zum zehntägigen Vorbereitungskurs.

In Lublin angekommen, entwickelten sich die Dinge erst einmal nicht nach Wunsch. Zum einen erwies sich die Unterkunft als nicht besonders geeignet für jemanden, der täglich um 6.45 den Bus zur Arbeit nehmen muss. Wie bereits die Freiwilligen vor ihr, war Hannah in einem Studentenwohnheim untergebracht. Dagegen spricht ja erst einmal nichts, aber dieses Haus ist in ganz Lublin als das Feierwohnheim schlechthin bekannt und vor allem bei Erasmus-, also Austauschstudenten sehr beliebt. Während ihre Mitbewohner oft bis in die frühen Morgenstunden Party machten, kämpfte Hannah mit dem Schlafmangel.

Auch in der Schule in Swidnik, einem kleinen Ort in der Nähe von Lublin, entsprach längst nicht alles der Einsatzbeschreibung. Gemäß der sollte Hannah bei der Vorbereitung auf die Deutschprüfung helfen, Ausflüge begleiten, Projekte durchführen. Stattdessen wurden ihr ungeliebte Aufgaben wie Korrigieren zugeteilt, sie saß die meiste Zeit im Lehrerzimmer. "Anfangs hab ich kaum einen Schüler gesehen", erinnert sich Hannah.

Sprachprobleme gemeistert

Problematisch war sicher auch, dass sie für die Verständigung mit der Schulleitung einen Dolmetscher benötigte. Zwar müssen die FSJler einen Sprachkurs belegen, aber erst vor Ort. Fünf Stunden Polnischunterricht wöchentlich haben ihr am Ende das A1-Diplom beschert, anfangs reichten ihre Polnischkenntnisse aber nicht aus und die Vertreter der Schulleitung konnte kein Englisch.

Junge Frau aus Gunzenhausen erkundete Polen

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Die Gunzenhäuserin ließ nicht locker und pochte darauf, dass sie gemäß ihrer eigentlichen Aufgabe eingesetzt werde. So bekam sie endlich Kontakt zu polnischen Schülern und erfuhr eine ganze Menge über das Schulsystem unseres Nachbarlands. "Viel lockerer" sei der Unterricht, schildert Hannah ihre Erfahrungen und zumindest im Fremdsprachenbereich auch nicht auf so einem hohen Niveau wie bei uns. Wer ein gutes Abitur erreichen wolle, nehme deshalb in der Regel noch nebenher Sprachunterricht — nicht selten bei genau den Lehrern, die vormittags in der Schule unterrichten.

Andererseits aber wird im polnischen Schulsystem, ja in der ganzen Gesellschaft viel Rücksicht auf benachteiligte Mitbürger genommen. Kinder mit einer Behinderung oder aus sozial schwachen Familien werden mit Einzelunterricht während der Schulzeit extra gefördert. Auch außerhalb der Lehranstalt wird soziales Engagement groß geschrieben: An allen Ecken und Enden wird Kuchen für einen guten Zweck verkauft.

In Swidnik war Hannah sowohl an der Mittelschule als auch manchmal am Lyceum im Einsatz. Die Atmosphäre in der Lehranstalt empfand sie als sehr gut, die Lehrer achten nach ihren Worten darauf, dass das Klassenklima stimmt, und es gibt viele Angebote, die den Zusammenhalt in den Klassen stärken sollen.

Eigene soziale Kontakte, die haben Hannah anfänglich doch sehr gefehlt. Das änderte sich, als sie begann, die Sprachabende der Erasmusstudenten zu besuchen. Hier hat sie Menschen gefunden, die ihr "ans Herz gewachsen sind".

Gar nicht so anders

Fremde Kulturen, exotische Landschaften, ungewöhnliche Geschmackserlebnisse — all das sucht man in Polen eher vergebens. Hannah fand ein Land, das sich in vielem nicht allzu sehr von Deutschland unterscheidet. Und doch anders ist. Das machten ihr ihre zahlreichen Wochenendtrips durch das Land — unter anderem nach Warschau, Danzig, Krakau — ebenso klar wie das tägliche Leben in Lublin.

Die notwendigen Besorgungen sind wesentlich günstiger als in Deutschland, in den so genannten Milchbars etwa bekommt man für gerade einmal 2 Euro ein komplettes Mittagessen. Und mit dem Zug kann man für nur 10 Euro ins 160 Kilometer entfernte Warschau fahren.

Im Unterschied zu ihrer Heimat kann es im Winter in Lublin auch schon mal so richtig, richtig kalt werden. Doch dagegen haben die Lubliner ein gutes Rezept: Glühbier. An den dann doch irgendwie exotischen Geschmack konnte sich Hannah recht schnell gewöhnen.

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