Leben auf dem Autodach
23.5.2019, 06:24 UhrAuf der Badehalbinsel in Absberg haben es sich Dachzeltnomaden für vier Tage bequem gemacht, um ihr jährliches Festival zu feiern, und das ausgiebig. Dachzelte sind Aufbauten, die normalerweise auf Autodächern befestigt werden. Hier am Strand haben die Nomaden die Zelte kurzerhand zwischen die Bäume gehängt. "Wir nennen ihn den Schwedenwald", sagt Natalie Ewen vom Orgateam des Dachzelt-Festivals.
Für 35 Euro pro Nacht kann man sich in eines der Baumzelte einmieten. Das Tagesticket kostet zusätzlich 30 Euro. Viele Einnahmen wie etwa aus der Vermietung oder der Tombola wandern in den Spendentopf: "Allen hier geht es gut, und wir möchten etwas zurückgeben."
Mobiles Zuhause
Eine richtige Nomadin ohne festen Wohnsitz ist Ewen nicht. "Aber ich bin jede freie Minute mit meinem Dachzelt unterwegs, so wie die meisten hier", erklärt die 39-Jährige aus der Eifel. Die Gemeinschaft der Dachzeltnomaden ist groß. Vor knapp zwei Jahren gründete Thilo Vogel eine Facebook-Gruppe, um Gleichgesinnte zu finden. Nach einem Jahr umfasste die Community schon 3000 Menschen, heute sind es bereits über 15 200. Die meisten stammen aus dem deutschsprachigen Raum. "Viele kommen aber auch aus Luxemburg und Holland", weiß Natalie Ewen, die eines der ersten Mitglieder war.
Thilo Vogel lebt seit drei Jahren in seinem Auto mit Dachzelt und reist durch ganz Europa. "Die Freiheit, die das Wenige gibt", so begründet der 39-jährige Fotograf den Schritt ins Nomadenleben. Meistens duscht er in Raststätten, seine Kleidung wäscht er in Waschsalons und Toiletten gibt es wie Sand am Meer, sagt er.
Vom Schwedenwald fasziniert, schweift der Blick über Baumzelte. Plötzlich sackt der Fuß nach unten ab – weicher Sand löst den Wald- und Wiesenboden ab. Vor dem Betrachter erstreckt sich der Brombachsee, grau-blau und leicht gekräuselt. Ein Mädchen wirft ihre Beine in die Luft und schlägt ein Rad. Familien sitzen auf bunten Decken, Kinder planschen im Wasser und quietschen vergnügt. Das Brummen eines Bulldogs durchschneidet die Ruhe. Der Traktor soll das Klavier von Joe Löhrmann auf eine hölzerne Badeinsel ziehen, die sonst für Schwimmer im See verankert ist. Der Mann mit den braunen Locken und dem Hut ist Pianist und ebenfalls ein Nomade. "Ich möchte Klaviermusik da hin bringen, wo sonst keine zu hören ist, um eine Verbindung zwischen Natur und Musik zu schaffen", erzählt Löhrmann.
Dafür hat er sein Instrument unter anderem mit Rollen ausgestattet. "My Traveling Piano" ist an der Seite zu lesen. So reisen die beiden in einem Transporter umher. Im Inneren ist sogar genügend Platz, um darin zu spielen. Auf die Frage, ob er vor heute Abend aufgeregt sei, folgt eine lautes: "Ja!" Er lacht und erklärt, dass er zum ersten Mal auf einer schwimmenden Plattform auftreten wird. Wie passend, viele seiner Songs sind auf einsamen Inseln entstanden.
Eine starke Community
Zwei Schritte gehen, zwei Minuten stehen: So in etwa kann man sich einen Streifzug mit Thilo Vogel über das Gelände vorstellen. Jeder möchte Hallo sagen und ein paar Worte mit ihm wechseln. "Schön, dich mal live zu sehen", sagt eine Besucherin aus Südtirol. In ihrer Stimme schwingt leichte Bewunderung mit. Ihr Mann hält die Daumen hoch, lobt das super Team und die tollen Leute. Der mindestens zwei Meter große Vogel beugt sich nach unten und schlägt mit der kleinen Tochter der beiden ein.
Über 3000 Nomaden haben sich an dem dritten Dachzelt-Festival in Absberg eingefunden. Ein paar davon halten Vorträge oder bieten Workshops an. "Küchenkiste für Pkws" oder "Mit dem Dachzelt durch Kolumbien" stehen auf dem Plan. Im Ticketpreis sind alle Angebote enthalten, auch die Musik am Abend. Auf der Händlermeile können sich Interessierte über Dachzelte und Co. informieren. Foodtrucks stillen den Hunger. Acht Monate lang haben die Verantwortlichen das Festival geplant. Vor Ort dauerte der Aufbau eine Woche. "Wir haben 150 freiwillige Helfer. So viele Leute waren es insgesamt beim ersten Festival", sagt Thilo Vogel.
Überall relaxen Menschen auf Picknickdecken oder schaukeln in Hängematten. Kleine Grüppchen sitzen in der Sonne und quatschen. Selbst die Hunde gehen alle friedlich aneinander vorbei. Der entspannten Atmosphäre kann man sich nicht entziehen. Sie umhüllt einen unweigerlich – wie ein wärmender Mantel.
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