„Schlimme Entwicklung“ an den Schulen

4.2.2017, 18:10 Uhr
„Schlimme Entwicklung“ an den Schulen

© dpa

„Gerade im sozialen Training gibt es großen Bedarf — aber wenig Zeit“, sagte Schmalz, die im Ausschuss begründen sollte, warum die Jugendsozialarbeit an Schulen (JaS) eine personelle Aufstockung um zwei halbe Stellen dringend benötigt. Sie sehe „eine schlimme Entwicklung“, verursacht durch den intensiven und unkontrollierten Umgang mit „Videospielen und dem Internet. Die Kinder erkennen bei anderen keine Gefühle mehr an der Mimik, das ist ein großes Problem.“ Hier spiele Medienpädagogik eine große Rolle.

Veronika Schmalz ist 19,25 Stunden pro Woche am Sonderpädagogischen Förderzentrum des Landkreises tätig, wo an verschiedenen Standorten (Gunzenhausen, Weißenburg, Treuchtlingen) etwa 350 Kinder unterrichtet werden. Weitere fünf Wochenstunden ist sie im Auftrag der Stadt Weißenburg an der dortigen Grundschule (469 Kinder) tätig. Dort allein habe sie im vergangenen Jahr 22 Einzelfallhilfen dokumentiert, was bedeute, „dass die betreffenden Schüler jeweils mindestens dreimal bei mir waren“. Und sie fügt hinzu: „Das ist in fünf Stunden kaum zu schaffen.“

Zumal sie an der größten Grundschule im Landkreis auch noch Streitschlichter ausgebildet habe, die im Pausenhof als Ansprechpartner für ihre Mitschüler dienten. Darüber hinaus mache sie Eltern ein „neutrales Gesprächsangebot“, und in den Jahrgängen 1 und 2 gebe sie wöchentlich zwei Schulstunden „Soziales Training“.

Gewalt im Netz

An den Standorten des Sozialpädagogischen Förderzentrums „Altmühlfrankenschule“ sorge sie ganz allgemein für eine „positive Schulhausatmosphäre“, biete unter anderem Beratungen für Schüler, Lehrer und Eltern an, unterbreite Präventions- und Trainingsangebote in Sachen Sozialkompetenz. „Bei der Präventionsarbeit sind derzeit die Themen Gewalt und Nacktbilder im Internet ganz aktuell“, sagt Schmalz.

Solcherart Präventionsarbeit koste natürlich Geld, räumte Veronika Schmalz ein. Sie sei aber überzeugt, dass sie auf Dauer ein „Kostensenker“ sei: „Wir hoffen, dass unsere Arbeit spätere Folgekosten nicht entstehen lässt.“

Eine Ansicht, der in der Sitzung sowohl die Grünen-Kreisrätin Katrin Schramm wie auch Wilhelmine Meyer, Teamleiterin bei der Agentur für Arbeit, beipflichteten: „Viele Jugendliche schaffen keinen Abschluss“, sagte Meyer, eine Entwicklung, die man durch rechtzeitige Intervention „im Grundschulalter noch verhindern könnte“. Gleiches gelte für die immer häufiger auftretenden psychischen Probleme von Schülern, etwa Depressionen und Ängste: „Hilfen im Grundschulalter würden spätere Probleme eventuell verhindern“, sagte Meyer.

Stefan Lahner, Leiter des Sachgebiets Jugend und Familie im Landratsamt, hatte zuvor schon die Lage der JaS im Landkreis geschildert: Sie sei eine Pflichtaufgabe, die vom Freistaat gefördert werde, der wiederum eine Vorgabe von bayernweit 1000 Stellen in diesem Bereich gesetzt habe. In Altmühlfranken gebe es seit 2008 genau fünf halbe Stellen, deren Kosten (jeweils 25 000 Euro pro Jahr) sich der Landkreis, die Kommunen und das Land teilten. „Hier wird sehr erfolgreiche Arbeit geleistet“, zeigte sich Lahner überzeugt.

„Der Bedarf ist da“

Die Stephani-Grundschule in Gunzenhausen und die Grundschule in Weißenburg hätten Anträge auf zusätzliche JaS-Stunden gestellt, informierte Lahner die Ausschussmitglieder: „Der Bedarf ist also da.“ Und auch die Voraussetzungen für die staatliche Förderung seien gegeben, sagte Lahner, nicht zuletzt, weil der Anteil der Schüler mit Migrationsanteil seit 2012 stark gestiegen sei: in Weißenburg von 20 auf 33 Prozent, in Gunzenhausen gar von 33 auf 44 Prozent: „Aus meiner Sicht ist es auf jeden Fall gerechtfertigt, ab dem kommenden Schuljahr jeweils eine halbe Stelle einzurichten.“

Widerspruch aus der Runde gab es gegen diese Ansicht nicht, allerdings wollte der Heidenheimer ÖDP-Kreisrat Reinhard Ebert wissen, ob es denn an den Schulen wirklich derart „dramatische Veränderungen in den letzten Jahren“ gegeben habe – was die Jugendsozialarbeiterin Veronika Schmalz ohne Zögern bejahte: „Ich empfinde das schon so. Die Integration der Kinder wird immer schwieriger“, sagte sie und fügte hinzu: „An der Grundschule sind die Kinder so unterschiedlich wie sonst nie mehr: Die einen können schon lesen, die anderen sprechen noch kein Wort deutsch.“

„An allen Schulen“

SPD-Kreisrat Harald Dösel, selbst Lehrer von Beruf, bejahte die Forderung nach den zwei zusätzlichen Halbtagsstellen vorbehaltlos: „Der Bedarf ist da. Die Lehrer wissen, dass es jemanden braucht mit einer anderen Perspektive und einem anderen Zugang zu den Schülern.“ Und er fügte hinzu: „Eigentlich bräuchte es Jugendsozialarbeit an allen Schulen.“

In diesem Punkt waren sich der Sozialdemokrat und der CSU-Landrat einig. „Das kann ich nur unterschreiben“, sagte Gerhard Wägemann. Seine Frau gebe seit Jahren Förderunterricht an der Weißenburger Grundschule, weshalb er auch wisse, dass wahrlich nicht nur Migrantenkinder Unterstützung bräuchten: „Auch viele Kinder aus deutschen Familien sind förderbedürftig.“ Und die Grüne Schramm, selbst Mutter zweier Töchter, ergänzte: „Das hat mit Migrationshintergrund nichts zu tun, wenn Kinder morgens hungrig oder nicht vollständig bekleidet zur Schule kommen.“

„Schlimme Entwicklung“ an den Schulen

© Jürgen Eisenbrand

Letztendlich erkannten alle Ausschussmitglieder den zusätzlichen Bedarf an Jugendsozialarbeit an Schulen an und stimmten einmütig einem entsprechenden Beschlussvorschlag an die Regierung zu. Deren Zustimmung, so Wägemann, sei angesichts der prekären Situation lediglich „Formsache“.

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