Zeitzeugen erinnern sich an Bombenangriff auf Gunzenhausen

16.4.2015, 11:50 Uhr
Zeitzeugen erinnern sich an Bombenangriff auf Gunzenhausen

© Stadtarchiv Gunzenhausen

Tagelang war die Altmühlstadt immer wieder Ziel von Fliegerangriffen gewesen. Stunden verharrten die Menschen voller Angst in den Felsenkellern, die am 16. April 1945 aber nicht allen Schutz bieten konnten. "Alles ist hin, alles ist hin" - an diese Worte einer Nachbarin erinnert sich Frieda Liebhard (geborene Kehr) noch heute. Das Geburtshaus der 94-Jährigen steht in der Nürnberger Straße, im April 1945 wohnte sie zusammen mit ihren Eltern und ihrem Neffen allerdings ein paar Häuser um die Ecke.

In der Zufuhrstraße hatte der Vater eine Dienstwohnung der Post zugewiesen bekommen, in direkter Nähe zum Bahnhof und den Gleisen. Und gerade Bahnhöfe waren ein gern gewähltes Ziel der Alliierten. Tagsüber kamen die Kehrs daher bei einer befreundeten Familie in der Leonhardsruhstraße unter, um ein wenig Abstand zu den Schienen zu haben.

Schon Tage vor dem 16. April gab es ständig Fliegeralarm, Brandbomben fielen. An einen halbwegs normalen Alltag war ob der ständigen Gefahr vom Himmel gar nicht zu denken. "Es war viel zu gefährlich, um auf die Arbeit zu gehen", gibt Frieda Liebhard zu bedenken, die damals im Ernährungsamt beschäftigt war. Einmal hörte sie nachts, wie ein Flugzeug über dem Haus kreiste. "Plötzlich wurde es taghell", berichtet sie. Mithilfe einer Leuchtkugel sollten in der Dunkelheit mögliche Ziele ausgemacht werden. Davon gab es im Umfeld einige, wie den hohen Schornstein der Mühle Lützenburger oder den Schlachthof. "Wir hatten schreckliche Angst."

"Fliegende Festungen"

Die Furcht war damals ihr täglicher Begleiter: Schon wenn die Vorwarnung für einen Luftangriff gegeben wurde, "waren wir bereit". Erklang dann der Dauerton, "habe ich nicht mehr gedacht. Wir sind nur gelaufen, um irgendwo unterzukommen." Schutz suchten sie und ihre Familie meistens in dem Felsenkeller hinter dem alten Friedhof. Der gehörte zu einer Gartenwirtschaft, die ihre Stühle in dem Keller lagerte. Auch am 16. April saß die damals 24-Jährige dort. Die Wucht der Einschläge und die Druckwelle waren so gewaltig, "dass es uns mitsamt dem Stuhl rumgedreht hat."

Auf Kartoffeln sitzend im nicht weit entfernten Röschelskeller harrte die zwölfjährige Inge Schömig aus, hörte das Dröhnen der Maschinen, wartete auf den Einschlag und hoffte wie viele Male vorher auf die erlösende Entwarnung. Ihre Eltern betrieben ein Landhandelsgeschäft in der Krankenhausstraße, und schon beim ersten Sirenenton lief sie zusammen mit ihrer Mutter und dem jüngeren Bruder in Richtung Felsenkeller. Der Vater und der ältere Bruder sperrten das Geschäft zu und kamen nach.

Auf dem Weg dorthin sahen die beiden die Flieger auf die Stadt zukommen, kauerten sich in einen schützenden Graben und sahen zu, wie sich die Luken öffneten und die Bomben freigaben. "Das waren fliegende Festungen", hörte sie später von ihrem Bruder.

Flugzeuge im Tiefflug

Noch heute bekommt Inge Schömig eine Gänsehaut, wenn sie an diese letzten Kriegstage denkt, und manchmal träumt sie sogar davon, wie die Bomben krachend und todbringend einschlagen. Besonders fürchtete sie sich vor den sogenannten Jagdbombern, die sich sehr schnell und nahezu lautlos nähern konnten. Nach diesem 16. April zog sie zusammen mit ihrem kleinen Bruder für eine Weile zur Familie Stern nach Obenbrunn, ein Stück weg von der Stadt. "Wenn wir das Dröhnen der Maschinen hörten, versteckten wir uns in der Hecke." Die Piloten sollten keine Bewegung erkennen können.

Zeitzeugen erinnern sich an Bombenangriff auf Gunzenhausen

© Stadtarchiv Gunzenhausen

Diese Grundregel der Fliegerdeckung hatte auch Heinz Menzel ver­innerlicht. 1945 war er noch keine elf Jahre alt und hatte zwei Wochen vor dem verheerenden Luftangriff eine Begegnung, die er niemals vergessen wird. Er war Trommler beim Spielmannszug des Jungvolks und marschierte mit seinen Gefährten die Hensoltstraße hoch, um die verletzten Soldaten, die im Lazarett am "scharfen Eck" lagen, ein wenig aufzumuntern. Plötzlich hörten sie, wie sich aus Richtung Frickenfelden Flugzeuge im Tiefflug näherten. Die jungen Musikanten drückten sich, wie sie es geübt hatten, eng an den Eisenzaun, das Gesicht zur Hausmauer gewandt, und warteten regungslos, bis die Flieger vorbeigezogen waren.

Dann rannten sie bis zu dem Keller unterhalb der Zionshalle. Der aber war schon voll besetzt, sodass den Kindern und Jugendlichen nichts anderes übrig blieb, als sich davor im Gebüsch zu verbergen. In der Zwischenzeit hatten die Flugzeuge eine Schleife gedreht und kamen zurück. "Einer flog so tief, dass ich den Mann darin genau erkennen konnte und sah, wie er auf seinen Knopf drückte. Und ich weiß, der sah mich auch", schildert Heinz Menzel dieses Erlebnis. An diesem Tag aber hatten es die Amerikanrer auf einen Munitionszug am Bahnhof abgesehen.

Ein Schutzraum im Keller

Ganz in der Nähe, in der Schillerstraße, stand das Wohnhaus der Familie Menzel. Der 16. April, das weiß der heute 80-Jährige noch ganz genau, war ein herrlicher Frühlingstag. Im Rundfunk wurden zwar Vorwarnungen gesendet, wie in den Tagen zuvor auch. "Wir haben uns nicht viel dabei gedacht. Die großen Flieger vorher sind ja immer weitergeflogen." Wie üblich suchte die Familie beim Hauptalarm den Keller des Hauses auf. Der war von Vater und Großvater als Schutzraum gut ausgebaut worden und bisher hatten sich die Bewohner dort auch sicher gefühlt.

Doch an diesem Tag bestand Heinz Menzels Mutter nach der ersten Angriffswelle darauf, einen der Felsenkeller im Burgstall aufzusuchen. Zusammen mit seinem Cousin und seiner Mutter war er gerade zum Eidamsplatz unterwegs - Tante und Großmutter holten noch einige Dinge aus der Wohnung - als sich von der Bismarckstraße erneut Motorengebrumm ankündigte. Schnell entschied die Mutter, das Haus der Großeltern väterlicherseits in der Friedrichstraße aufzusuchen. "Wir kamen gerade noch die Treppe herunter, da lag ich plötzlich flach auf dem Boden", erinnert sich Heinz Menzel. Der gewaltige Luftdruck hatte ihn umgeworfen. Dieser Angriff muss dem Eidamsplatz gegolten haben, der vorher noch unversehrt gewesen war.

Quer über die Obstanlage ging es schließlich weiter bis zum Braunskeller. Dorthin wollte seine Mutter, wie viele andere Menschen auch. Der Raum war schon sehr voll, doch die Mutter lehnte den ihr angebotenen Platz im vorderen Bereich ab und entschied, weiter nach hinten zu gehen. Eine glückliche Fügung, wie sich im Nachhinein herausstellte: "Vorne hätten wir nicht überlebt." Eine Bombe traf den Lüftungsschacht und die herunterfallenden Felsbrocken begruben die Menschen unter sich.

Mit Sack und Pack zu Verwandten

Da der Eingang verschüttet war, mussten sie etwa zwei bis drei Stunden warten. "Dann durften wir langsam nach vorne gehen. Dort lagen lauter Felsbrocken und wir kamen nur in gebückter Haltung voran." Im Lichtschein des Ausgangs sah der Zehnjährige auf einmal seinen Vater auf sich zukommen, eine Erleichterung, die ihm noch 70 Jahre danach ins Gesicht geschrieben steht: "Da war ich so froh."

Wo aber waren die Tante und die Oma? Nach bangem Warten folgte die Nachricht, dass die Großmutter zwar verschüttet, aber am Leben ist. Die Tante und ihre zwei kleinen Kinder jedoch, die direkt daneben saßen, hatten den Angriff nicht überlebt. Sie zählen zu den 141 Opfern, die dieser Kriegstag in Gunzenhausen forderte.

In das Haus in der Schillerstraße konnten die Menzels nicht zurück, sämtliche Fenster waren kaputt, eine Wand eingedrückt. Also organisierte man einen Leiterwagen und zog mit Sack und Pack zu Verwandten nach Frickenfelden. Von dort aus beobachtete Heinz Menzel den Rückzug der deutschen Soldaten und den Einzug der Amerikaner. "Uns hat das als Jungs natürlich alles interessiert. Wir waren neugierig."

Und auch abenteuerlustig, weshalb der zerstörte Bahnhof nach der Rückkehr nach Gunzenhausen ein beliebter Platz für ihn und seinen Cousin wurde. "Einmal fanden wir einen Waggon voller Waschpulver. Das haben wir sofort zur Mutter gebracht." Auch eine ganze Ladung Schnupftabak stöberten die Buben auf. Den spektakulärsten Fund machten sie allerdings auf dem heimischen Dachboden: Dort lagen zwei Meter lange Stücke von Eisenbahnschienen, die durch den immensen Luftdruck vom Bahnhof hochgeschleudert worden waren.

In Frieden alt werden

Ein Bild der Zerstörung bot sich auch Frieda Liebhard, die sich nach der Entwarnung am 16. April mit ihrer Familie mit sehr gemischten Gefühlen auf den Heimweg machte. "Von der Straße war nur ein schmaler Fußweg übrig." Die Mutter hat nur noch geweint, der Vater war von pragmatischer Natur und gab die Richtung vor: "Wir müssen schauen, wie es weitergeht!" Schnellstmöglich mussten die Möbel aus der unbewohnbaren Wohnung geschafft werden, da sich sonst die Plünderer darüber hergemacht hätten.

Die Treppe ins Obergeschoss war verschwunden, keine Fensterscheibe mehr heil. Mutter und Tochter liehen sich, weil der Vater sich verletzt hatte, einen schweren Paketwagen und plagten sich mit den Möbelstücken und dem Hausrat. All das durften sie bei Bekannten in der Leonhardsruhstraße unterstellen, bis sie wieder zurück in ihr Zuhause konnten.

Eigentlich sind 70 Jahre eine sehr lange Zeit, aber diese Ereignisse, die unsere drei Zeitzeugen in ihrer Jugend und Kindheit erlebten, haben sich für immer in ihr Gedächtnis eingebrannt. Intensiv haben sie sich in den vergangenen Wochen damit auseinandergesetzt, so manches vergessen geglaubte Detail wieder hervorgeholt, das Gefühl der Angst und des Verlusts noch einmal durchlebt.

Sie haben sich mit Schülern unterhalten, auch wenn es schwierig ist, die Gefühle und Eindrücke von damals in Worte zu fassen. Doch vor allem die junge Generation soll teilhaben an diesem Stück Geschichte - und ein bisschen auch an dem Gefühl, was für ein Glück es ist, in Frieden so alt werden zu dürfen.

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