Hartz-IV-Empfängerin wird zur Lieblingskollegin

Isabel Lauer

Lokalredaktion Nürnberg

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9.12.2020, 16:20 Uhr
Zufrieden in ihrem kleinen Reich nach einer langen Krisenzeit: Karin Maksimczuk arbeitet seit Herbst 2019 als Hauswirtschaftskraft einer evangelischen Kita in der Altstadt.

© Michael Matejka Zufrieden in ihrem kleinen Reich nach einer langen Krisenzeit: Karin Maksimczuk arbeitet seit Herbst 2019 als Hauswirtschaftskraft einer evangelischen Kita in der Altstadt.

Heute gibt es Pizza und Salat. Bald wird der Lieferant kommen und Karin Maksimczuk die Boxen übergeben. Sie wird alles auspacken und auf Teller verteilen. Mittagessenszeit im "LoJa", dem Kindergarten der evangelischen Gemeinden St. Lorenz und St. Jakob. Am Nachmittag wird sie Obst schneiden und Butterbrote schmieren, die Wäsche machen. Die Spülmaschine läuft. Sonst ist es still. Die Kinder und ihre Erzieherinnen sind gerade unterwegs. Und Karin Maksimczuk hat Zeit zu erzählen, wie sie in diese Küche kam. Für sie ist es ein Glücksort.

30 Jahre Nachtdienst im Altenheim

Die Nürnbergerin hat etwas geschafft, was nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich ist: aus der Langzeitarbeitslosigkeit wieder in eine Festanstellung finden – mit Ende 50. "Meine Oma hat mir immer gesagt: Mädel, du musst kämpfen. Dich selbst hochziehen. Wer aufgibt, hat verloren." Mehr als 30 Jahre hatte die Krankenschwester in der Altenpflege gearbeitet. Immer im Nachtdienst, tagsüber zog sie mit ihrem Mann drei Kinder groß. "Bis zu seinem Tod hatten wir ein gutes Leben." Auch noch 2010, als sie aus dem Beruf ausstieg. Ihre Enkeltochter Lea kam zur Welt, und Karin Maksimczuk nahm sie in Obhut. Ein Pflegekind hatte sie bereits, ihren Neffen mit einer geistigen Behinderung. Das neue Baby verlangte nach Extra-Zeit.

Wohnung verloren

Dass sie sich damit ins Abseits begeben hatte, spürte Maksimczuk bald schmerzhaft. Bewerbungen scheiterten, oder es kamen Angebote für Hungerlohn. Die zweite Ehe verlief unglücklich; der Mann betrog sie finanziell und hinterließ Schulden. Ein Alltag ohne Konturen, auf dem Sozialamt und mit Hartz IV. Aber ohne Pflegekindergeld, auf das man unter leiblichen Verwandten keinen Anspruch hat. Fast ein Jahr lang lebte die Mini-Familie mangels geeigneter Wohnung in einem städtischen Pensionszimmer.


Langzeitarbeitlosigkeit: Hoffnungsschimmer trotz Corona-Pandemie


Zu dieser Zeit, erzählt die 59-Jährige, habe sie Leute aus "Mutmach-Geschichten" in der Presse bewundert. "Ich war ganz unten und sie hatten es geschafft. Ich hätte mich gern mit ihnen darüber ausgetauscht." Denn das Leben habe sie gelehrt, "dass man noch über dich drübersteigt, wenn du am Boden liegst". Aber: "Ich wollte es noch mal wissen. Ob da nicht doch noch was für mich ist." Und es kam etwas: das Teilhabechancengesetz 2019. Es soll die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen erleichtern, indem das Jobcenter ihre Stellen anfangs voll bezuschusst und auch den Arbeitgeber persönlich begleitet. Der Kindergarten "LoJa" stellte gleich drei Mitarbeiter auf diese Weise an.

Mit ihrer "außergewöhnlich hohen Motivation" sei Karin Maksimczuk in dem Programm regelrecht aufgeblüht, lobt Jobcenter-Fallmanagerin Nadine Freund. "Das ist nicht selbstverständlich, wenn man zehn Jahre draußen war." Die Kita habe bereits zugesagt, die Hauswirtschaftshelferin nach der Förderung bis zur Rente weiterzubeschäftigen.

"Lieblings-Karin" steht auf der Tasse

"Das Kämpfen ist nie zu Ende. Mir wird nichts geschenkt", sagt diese. Aber auch: "Mir gefällt’s. Ich möchte nirgendwo anders mehr hin." Mit trockenem Humor erzählt sie, wie sie es einfädelt, im Drogeriemarkt auch zu Corona-Zeiten Großpackungen Toilettenpapier und Flüssigseife für die 40 Kinder zu organisieren. Auf der Anrichte steht ihre Tasse, von den Kolleginnen gebastelt, darauf haben sie "Lieblings-Karin" geschrieben. Im Flur hängen die Teamfotos. Als Berufsbezeichnung unter Karin Maksimczuks gerahmtem Porträt steht "Haushaltsfee".

Von ihrem Gehalt konnte sie ein altes kleines Auto anschaffen. Im Sommer fuhr sie mit der Enkelin einfach mal an den Baggersee. Es fühlte sich sehr freiheitlich an. Kürzlich sind sie in eine bessere Wohnung umgezogen. Zum ersten Mal seit Jahren werden sie einen Christbaum haben. Zum ersten Mal ist ihnen wieder so richtig danach.

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