Bis zum letzten Schuh

25.2.2015, 15:50 Uhr
Bis zum letzten Schuh

© Foto: Ralf Rödel

HERZOGENAURACH — „Alles muss raus“ steht auf einem Pappkarton geschrieben. Rabattzeichen sind auf den Schuhkartons zu lesen, einige Regale sind leer geräumt. Es sieht aus wie im Schlussverkauf, doch hier, in der Heinrichstraße 7, ist bald für immer Schluss.

Nach über einem halben Jahrhundert geben die „Kaltenhäuser-Schwestern“ ihren Laden auf. Dabei floriert das Geschäft. Auf 130 Quadratmetern Verkaufsfläche bieten Barbara Käferlein und Rita Hentschel ihre Sandalen, Stiefeletten und Hausschlappen feil. Zum letzten Mal, bevor das Kellergeschäft am 31. März für immer seine Pforten schließt. Laufkundschaft gibt es hier nicht. Kein Wunder, liegt der Laden doch mitten in einem Wohngebiet, ein unscheinbares Schild mit der Aufschrift „Schuhverkauf“ hängt an der Hauswand, dann geht es schmale Treppen hinunter. Wer im Keller Highheels oder Kinderschuhe shoppen will, muss erst mal klingeln. Ein Schaufenster gibt es nämlich auch nicht.

Unten ist Teppichboden verlegt, Neonröhren flackern. „Wir haben von den Stammkunden und der Mundpropaganda gelebt“, erzählt Käferlein. Um die tut es ihnen auch besonders Leid. „Viele Kunden haben sich mit einer Umarmung von uns verabschiedet. Wir haben sie jahrelang regelmäßig gesehen — und jetzt begegnen wir ihnen vermutlich nie wieder“, sagt Hentschel ein bisschen wehmütig. Doch ihre Schwester Barbara Käferlein hatte keine Lust mehr. Die 64-Jährige will in Rente. „Ich will endlich mal Reisen, nach China fliegen und meine Freizeit genießen“, sagt Käferlein. Nachfolger gibt es keine. Und alleine will Hentschel auch nicht weitermachen.

Seit Jahrzehnten haben die Schwestern das Geschäft geführt. „Die Fetzen sind manchmal schon ganz schön geflogen“, erinnert sich Hentschel und lacht. „Vor allem beim Ordern, da ist Barbara manchmal ganz schön in Kaufrausch geraten.“ Schuhe, Schuhe und noch mehr Schuhe — da ging es eben manchmal durch mit Käferlein, und die 64-Jährige hätte am liebsten alles leer gekauft. „Gut, dass mich meine Schwester gebremst hat“, sagt die Herzogenauracherin.

Privat haben übrigens beide keinen besonders ausgeprägten Schuhtick. „Wenn man den ganzen Tag mit Schuhen zu tun hat, muss auch irgendwann mal Schluss sein“, sagt Hentschel. Bis zu 15 000 Paar hatten sie hier zu Saisonbeginn oft im Keller. Jetzt sind es gerade mal noch 1600.

Mode ist schnelllebig

„Die Mode ist heute viel schnelllebiger“, weiß Käferlein. Früher konnten Schuhe auch mal ein paar Monate im Regal stehen und wurden dann noch gekauft. Heute ist das ganz anders. Was der Schuhexpertin überhaupt nicht passt: „Das Internet.“ Gerade junge Kunden haben sich oft ausführlich beraten lassen und dann die Schuhe online bestellt. Darüber kann Käferlein nur den Kopf schütteln. „Das macht den Einzelhandel kaputt.“

Sie weiß, wovon sie spricht. Schließlich ist ihr Kellerladen eines von ganz wenigen Geschäften, das nicht der Schuhvereinigung angehört. Darauf sind die Schwestern sichtlich stolz. „Wer heute ein Schuhgeschäft eröffnet, muss praktisch beitreten“, sagt Hentschel. Weil ihr Vater aber schon 1950 das Geschäft eröffnet hat, sind sie dem entkommen. Das bedeutet: Sie konnten immer selbst aussuchen, bei welchem Händler sie wie viele Schuhe kauften. Ein Stück Freiheit, das viele Einzelunternehmer schon lange nicht mehr genießen. Ihr Vater hatte auch schon die Lizenz zum Reisegewerbe erworben. Daher durften auch die Schwestern mit einem Bus durch Franken touren und ihre Schuhe auf Märkten verkaufen. Bamberg, Schweinfurt, Neustadt oder Forchheim gehörten fest zu ihren Standorten. „Schön, aber stressig“, lautet ihr Fazit. Denn zu Beginn waren sie mehr als 30 Sonntag pro Jahr unterwegs. Freizeit blieb da keine mehr. Das Schlimmste ist für die Schwestern schon vorbei: der erste Tag des Räumungsverkaufs. „Da wurde mir richtig klar, dass wir schließen“, sagt Hentschel. Wie es für sie weitergeht, ist ungewiss. „Eventuell suche ich mir noch mal einen Job“, sagt die 55-Jährige. Doch jetzt heißt es erst mal: die letzten Schuhe an den Mann bzw. die Frau bringen. HANNI KINADETER

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