Die Perspektive ändert sich

13.6.2015, 15:00 Uhr
Die Perspektive ändert sich

© Foto: Schneller

„Man muss die Geschichte erzählen statt pauschal über Sudetendeutsche oder Tschechen zu sprechen. Erzählt man aber über Einzelpersonen und deren Schicksale, so stellt man fest, dass es stets gute und schlechte Menschen gab und gibt“, so der tschechische Staatsbürger Peter Joza, Jahrgang 1969.

Demgegenüber äußerte der 34-jährige deutsche Staatsbürger Sebastian Benedikt, dessen Familie zum Teil aus der früheren Tschechoslowakei stammt: „Ich finde die Geschichte der Eltern meines Vaters interessant, es ist auch ein Teil meiner Geschichte. Es ist meine Aufgabe, darüber Bescheid zu wissen, aber es ist nicht meine Geschichte“.

Diese Aussagen sind in dem Buch „Die Erben der Vertreibung“ des Journalisten und Autors Ralf Pasch festgehalten, das er nach umfangreichen Recherchen über die so leidvolle Vertreibung Deutscher aus Böhmen, Mähren und Schlesien verfasste.

Am Donnerstag stellte Pasch sein Buch im Stadtmuseum vor. Gastgeber Christian Hoyer vom Stadtmuseum hatte mit der unmittelbar betroffenen und heute in Herzogenaurach wohnenden Luise Maier, Jahrgang 1933, ihrer Tochter Heidi Growek, 61 Jahre alt, sowie den Enkelinnen Jana Büttgenbach, Jahrgang 1982, beide wohnen in Falkendorf, beziehungsweise Nina Karaca, 1979 geboren und heute in Fürth beheimatet, zu einer Gesprächsrunde eingeladen.

Die Menschen der Generation, die die Vertreibung noch selbst erlebt hat, werden langsam weniger, und so war Pasch bestrebt, herauszufinden, wie die Enkel in Deutschland, Österreich und Tschechien mit diesem Erbe umgehen, oder ob sich diese Frage für die junge Generation gar nicht stellt.

Pasch hat bei seinen zahlreichen Besuchen in Tschechien feststellen können, wie realistisch und oft gar selbstkritisch die jüngeren Nachbarn mit der Vergangenheit umgehen. Man sei sich darin einig, dass der einstige deutsche Anteil auch viele positive Seiten für das Land hatte, wie auch ein neu eingerichtetes Museum in Aussig (Nordböhmen) darzustellen vermag, wo sich Tschechien der eigenen Geschichte stellt. Ähnliches hat er in Deutschland erfahren, wenn er mit der heute lebenden 3. Generation ins Gespräch kam.

Leidvolle Erfahrungen

Dennoch wurde den 30 Besuchern wieder bewusst, welch leidvolles Schicksal die Betroffenen zu bewältigen hatten. Zeitzeugin Luise Maier wurde 1933 in dem Ort Ratschin Nähe Oberplan, dem heutigen Horni Plana an der Grenze zu Österreich, geboren. Die Eltern hatten einen Bauernhof, und sie war 13 Jahre alt, als sie ganz plötzlich alles aufgeben mussten. Der Vater hatte es gerade noch geschafft, eine Sense, anderes Werkzeug und ihre Puppe zu vergraben, „weil man ja etwas braucht um bei der Rückkehr wieder anzufangen“.

Von einem Sammellager wurde man in Zugwagons mit 50 Personen „geschlichtet“ und in ein Schwabacher Lager gefahren. Dann kamen sie, ihre Eltern, ein Großvater und zwei Brüder nach Adelsdorf, wo sie nach einigen Tagen mit einem Lastwagen nach Unterreichenbach gebracht wurden. Wenig später wurden sie vom Knecht eines Bauern Süß aus Buch mit dem Pferdefuhrwerk abgeholt, und nun begann die eigentliche Bekanntschaft mit der neuen Heimat.

„Wer in dem wunderschönen Böhmerwald geboren wurde, der vergisst die Heimat nie. Von der Familie Süß wurden wir aber derart gut behandelt, dass es uns bald gelang, im zweiten Leben Fuß zu fassen“, so die Seniorin.

Ihre Tochter berichtete, dass man vor drei Jahren gemeinsam mit anderen Betroffenen die einstige Heimat besucht habe. Da aber die Mutter fast nie über die Vergangenheit gesprochen hatte, konnte man kaum emotionale Empfindungen feststellen: „Wir sind froh, eine Heimat zu haben und nicht weg müssen, nicht die Erfahrungen der Eltern machen müssen“.

Die Enkelinnen hatten sich erst im Jugendalter mit dem Thema befasst, dann aber durchaus auch vor Ort Eindrücke gewonnen. Zwar wurde man in der Schule mit dem Thema konfrontiert, doch ihre Generation sei nicht mehr betroffen.

Jana Büttgenbach: „Ich finde es ganz schlimm, dass jemand derartiges erleben musste und hoffe, dass uns das nie passiert, viele Beispiele zeigen doch, wie viel Glück wir hatten“. Dazu das nachdenkliche Schlusswort von Luise Maier: „Ich hasse den Krieg, aber die Menschen lernen nicht dazu“.

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