Faszinierende Einblicke in die Zeit der Schlappenschuster
4.3.2016, 18:33 UhrIn einer für die Stadt wirtschaftlich schwierigen Zeit gründete der Fabrikant 1889 in Herzogenaurach einen Filialbetrieb seiner Fürther Schuhfabrik B. Berneis. Der Fabrikbetrieb sicherte bis in die 1930er Jahre zahlreichen Herzogenauracher Familien Lohn und Brot.
Wertvollste Stücke der Schenkung sind vier gewichtige Fotoalben, die Louis Berneis als Geschenk zu seinem 50. Berufsjubiläum im Jahr 1925 erhielt. Sämtliche Fabrikgebäude, Abteilungen, Maschinen und Menschen, die dort und in Heimarbeit für den Betrieb gearbeitet haben, sind im Bild festgehalten. Ein faszinierender Blick zurück und eine unverzichtbare Quelle für diejenigen, die sich für Herzogenaurachs Vergangenheit als „Stadt der Schlappenschuster“ interessieren.
Die Fürther Brüder Louis und Albert Berneis hatten sich 1875, noch keine 20 Jahre alt, nach dem frühen Tod der Eltern mit der Unternehmensgründung auf eigene Beine gestellt. Die Fabrik für Hausschuhe avancierte nach der Fusion mit der Augsburger Schuhfabrik Wessels in den 1920er Jahren zum weltgrößten Unternehmen der Schuhbranche.
Annemarie Oppermann hat sich in den letzten Monaten verstärkt mit der Geschichte ihrer Familie beschäftigt. „Louis Berneis war ja auf der einen Seite ein sehr reicher Mann mit großbürgerlichem Lebensstil, er hat ja lange im Grand Hotel in Nürnberg gelebt, er war aber auch ein sehr liebevoller Vater und Großvater und Freund, anscheinend sehr humorvoll und naturliebend.“
Die Fotos, die Louis Berneis mit den Enkeln zeigen, belegen dies. Schnappschüsse aus glücklichen Zeiten? „Seine Frau Rosie starb bereits 1919. Der einzige Sohn Bruno, seit 1918 Witwer, ist dann mit den beiden Kindern zu seinem Vater nach Nürnberg gezogen und als Prokurist in die väterliche Firma eingestiegen“, erklärt Annemarie Oppermann. Die Enkelkinder verbrachten viel Zeit mit dem Großvater, der sich kurz nach seinem 50. Berufsjubiläum aus der Leitung der Vereinigten Schuhfabriken Berneis-Wessels AG zurückzog. Er stirbt 1930.
Bruno Berneis gibt seinen Posten 1933 auf und zieht mit seiner zweiten Frau und den vier Kindern nach Wiesbaden. Vier Jahre später werden die Namen der jüdischen Gründer aus dem Firmennamen getilgt.
Manchmal scheint es so, als sei die nationalsozialistische Judenverfolgung ein Phänomen der Großstädte gewesen. Doch sie fand auch auf dem platten Land statt, etwa in Giengen an der Brenz, wo sich Frida Langer, die Tochter von Albert Berneis, am Karfreitag 1942 das Leben nahm, bevor sie nach Polen deportiert werden sollte.
Annemarie Oppermann berichtet, dass Bruno Berneis selbst dem Konzentrationslager durch einen Zufall entgangen war: „Er schreibt nicht genau, wie er dem KZ entkommen ist, aber meine Tante, seine Schwiegertochter, schreibt in einem Brief, als man meinen Schwiegervater zum Transport abholen wollte, lag er mit einer Lungen- und Rippenfellentzündung im Luftschutzkeller. Man glaubte nicht, dass er überleben könnte. Später hat man sich nicht vergewissert, ob er wirklich gestorben war.“
Bruno Berneis wurde später von den Nazis eingesperrt und bis zum Kriegsende zu Sklavenarbeiten gezwungen. In einem Briefwechsel mit der amerikanischen Militärregierung beschreibt er eindrücklich und sehr zornig Diskriminierung und Verfolgung im Dritten Reich „unter dem Regime dieses viertelgebildeten, halbwahnsinnigen und komplett idiotischen größten Verbrechers aller Zeiten und seiner ebenbürtigen Gefolgsleute“. Das Regime hatte seine vier Kinder, die Enkel von Louis Berneis, außer Landes getrieben. Tochter Rosel entkam nach England, der älteste Sohn Hans emigrierte nach Amerika.
Bruno Berneis schreibt 1948, er habe die beiden seit elf Jahren nicht gesehen. Sohn Fritz musste sein Kunststudium abbrechen und landete als „Halbjude“ in einem Zwangsarbeiterlager. Der jüngste Sohn Kurt, traumatisiert durch die erlebte Verfolgung und Deportation seiner Verwandten und Freunde, durch deren Tod und Selbstmord, vor allem durch die Demütigungen einer zunehmenden Ausgrenzung, schmiedete mit 17 Jahren einen Fluchtplan und schwamm ohne das Wissen der Eltern 1943 durch den Rhein in die Schweiz, wo er als Flüchtling in einem Internierungslager landete.
Sie hatten das Land rechtzeitig verlassen und waren dem Tod entgangen, doch sie zahlten einen hohen Preis. Kurt Berneis hat in dem Buch „Stiller Heimatentzug“ seine Erlebnisse geschildert. Annemarie Oppermann wird die Geschichte ihrer Familie weiterhin verfolgen. Etliche Fragen sind noch offen.
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