Hühner im Garten: Die neue Lust am Federvieh
15.9.2020, 12:28 UhrWenn Simone Wagner ihren Vorgarten betritt, ist der Ansturm groß. Fünf Hühner rennen der 35-Jährigen in der Hoffnung auf Futter entgegen, Zwerghahn „Nugget“ und die drei Küken bleiben lieber auf Abstand. Seit April wird im Vorgarten der Wagners gegackert und gepickt. „Ich hatte halt Zeit während Corona“, sagt Fotografin Simone. „Ich habe mich mit dem Zustand des Gartens beschäftigt und da ist mir die Idee gekommen.“
Damit waren Simone Wagner und ihre vierköpfige Familie im Unterallgäu nicht allein. 61 Geflügelhalter haben sich von Januar bis Ende Juli 2020 beim dortigen Landratsamt neu angemeldet, darunter „hauptsächlich kleinere Betriebe mit bis zu 40 Tieren“, wie eine Sprecherin sagt. „Dass Familien sich ein paar Hennen suchen, scheint normal zu werden“, sagt Simone Wagner. „Viele laufen auch absichtlich mit ihren Kindern an unserem Vorgarten vorbei, um sich das anzuschauen.“
Statt in den Urlaub in einen Geflügelstall investiert
Geflügelzüchter wie Josef Sauter freuen sich deshalb seit Monaten über eine steigende Nachfrage. „Das sind vor allem junge Familien mit Kindern“, sagt er. Seine Kunden kämen oft aus der Nähe seines schwäbischen Wohnorts Altenstadt, aber auch vom Ammersee, aus München oder in einem Fall sogar aus Köln. „Die Leute sagen, sie wären eigentlich im Sommer nach Italien gefahren, haben sich jetzt aber mit dem Geld einen Stall gekauft.“
Obwohl es keine bayernweiten Zahlen zu Hobbygeflügelhaltern gebe, könne man einen Trend zu kleineren Geflügelhaltungen erkennen, heißt es vom Bayerischen Landwirtschaftsministerium. Dieser habe schon vor der Corona-Pandemie eingesetzt. Das sei „grundsätzlich zu begrüßen“, sagt ein Sprecher. Die Haltung der Tiere setze aber auch ein solides Wissen über deren Bedürfnisse und die Auswirkungen auf die Nachbarschaft voraus.
Anna Vogel aus Neubiberg setzt deshalb auf Wachteln statt Hühner. In der Reihenhaus-Siedlung am Münchner Stadtrand finden die Tiere in einer vier Quadratmeter großen Voliere Platz. „Und sie machen keine großen Geräusche“, sagt die 37-Jährige. Gleichzeitig haben ihre drei Kinder damit Haustiere, die auch einen Teil der in dem Haushalt verzehrten Eier beisteuern. „Die Anmeldung kostet nichts und die Tiere brauchen nicht viel“, sagt Vogel. „Die Nachbarn finden es auch total nett, das ist also nicht nur was fürs Land.“
Noch keine Probleme mit den Nachbarn
Obwohl ihre Hennen und Hahn „Nugget“ durchaus für einen ordentlichen Geräuschpegel sorgen können, hatte Simone Wagner im Allgäu nach eigener Aussage ebenfalls noch keine Probleme mit den Nachbarn. „Es ist unfassbar, wie viele Leute sich darüber freuen“, sagt sie. Ihr Mann Stefan und die beiden Kinder Moritz und Veronika durften jeweils ein Huhn taufen, öffnen morgens den Stall oder holen die Eier. „Die Kinder wissen dadurch auch gleich, dass die Eier nicht aus dem Supermarkt kommen“, sagt Vater Stefan.
Informiert haben sich Familie Wagner und Familie Vogel vorab im Internet. Neue Geflügelhaltungen müssen in Bayern bei drei Stellen angemeldet werden: dem Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, der Tierseuchenkasse und beim zuständigen Veterinäramt. Außerdem gilt für Hühner und Puten eine Impfpflicht gegen die Newcastle-Krankheit. Längst nicht alle Hobby-Geflügelhalter haben ihre Tiere aber auf diese Weise angemeldet.
Wie groß diese Dunkelziffer ist, könne man nicht abschätzen, heißt es dazu vom Landratsamt Unterallgäu. „Die meisten Leute haben sich im Internet belesen“, sagt Geflügelzüchter Sauter. Einige kaufen auch die Hühner selbst oder befruchtete Eier auf Plattformen wie eBay-Kleinanzeigen. „Die wollen bei mir oft noch viele Informationen“, sagt Sauter. „Wie füttere ich die Tiere? Wie schaffe ich es, dass sie nicht brüten?“
Einiges an Fachwissen nötig
Die Herausforderungen bei der Haltung seien neuen Geflügelhaltern oft nicht bewusst, sagt Ute Hudler, stellvertretende Vorsitzende des Verbands Bayerischer Rassegeflügelzüchter. Dazu zählten nicht nur viele rechtliche Aspekte, sondern auch Fachwissen zu Stallbau, Fütterung, Auslauf, Lichtverhältnisse und die Wahl der richtigen Rasse. Hier könnten die Vereine vor Ort helfen: „Es ist sehr wichtig, dass wir dieses Potenzial nutzen.“
Profitieren können die Geflügelzuchtvereine vom Hühner-Hype bisher aber nur begrenzt. Einige Hobbyhalter würden zwar Mitglieder, seien aber im Vereinsleben wenig aktiv, sagt Hudler. „Da derzeit kaum Veranstaltungen stattfinden, ist das auch eher schwierig.“ Sie selbst versuche stattdessen, über einen Volkshochschulkurs Interessenten zu gewinnen. Familie Wagner in Bad Grönenbach sieht sich auch ohne eine Vereinsmitgliedschaft gut für die Geflügelhaltung gerüstet. „Hund, Katzen und Hühner vertragen sich“, sagt Simone Wagner. „Wir haben es bisher keinen Tag bereut, uns die Tiere geholt zu haben.“
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