Mit.Menschen-Podcast

IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch, eine Kindheit unter dem Hakenkreuz

11.3.2021, 06:00 Uhr
In lockerer Gesprächsatmosphäre und mit genügend Sicherheitsabstand erzählte Charlotte Knobloch NN-Volontärin Isabella Fischer aus ihrem Leben. 

© Richard Volkmann In lockerer Gesprächsatmosphäre und mit genügend Sicherheitsabstand erzählte Charlotte Knobloch NN-Volontärin Isabella Fischer aus ihrem Leben. 

Sie stehe hier als stolze Deutsche, sagte Charlotte Knobloch Ende Januar im Bundestag, 75 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Schaut man zurück auf das Leben der 88-jährigen Münchnerin, ist dieser Satz alles andere als selbstverständlich.

Charlotte Knobloch, geborene Neuland, war drei Monate alt, als Adolf Hitler im Januar 1933 als Reichskanzler ernannt wurde. Sie wuchs auf am Münchner Bavariaring, in gutbürgerlichen Verhältnissen. Ihr Vater, Fritz Neuland, war angesehener Rechtsanwalt. Die Mutter konvertierte nach der Heirat zum Judentum und verließ die Familie, als die kleine Charlotte vier Jahre alt war. „Das hat den Nazis nicht gepasst. Die haben meine Mutter unter Druck gesetzt und sie hat dem Druck nachgegeben und uns verlassen“, erzählt Knobloch. Die Ehe wurde geschieden, die Mutter verschwand aus ihrem Leben. Nach dem Tod ihres Großvaters Salomon Neuland zog ihre Großmutter Albertine von Bayreuth zu Sohn und Enkelin nach München und wurde Charlottes engste Bezugsperson.

Das, was Charlotte Knobloch erleben musste, ist nur schwer zu begreifen. Besonders für die Generation, die ihre Enkel sein könnten und den Zweiten Weltkrieg nur aus dem Geschichtsbuch kennen, wie die Autorin dieser Zeilen. Als Charlotte Knobloch sich dem Konferenzraum im Gemeindezentrum der Israelitischen Kultusgemeinde nähert, kündigt sie bereits der kleine weiße Hund ihrer Büroleiterin an. Ihr Wachhund, wie Knobloch scherzhaft zur Begrüßung sagt. Sie ist adrett gekleidet und kleiner, als sie im Fernsehen wirkt. Ihr Terminkalender ist trotz Corona durchgetaktet, für den Podcast Mit.Menschen hat sich die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern jedoch Zeit genommen.


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In ihrer Kindheit, so erzählt sie, sei sie „behütet, geschützt, geliebt“ gewesen. Bis zu dem Tag, an dem sie gemerkt hat, dass sie anders ist. „Man wollte mir schon eine normale Kindheit ermöglichen. Als man mir sagte, „Unsere Kinder dürfen nicht mit einem Judenkind spielen“ – da konnte ich mit dem Wort Jude überhaupt nichts anfangen. Ich kannte das Wort nicht und habe mir vorgestellt, ich habe irgendetwas angestellt. Als meine Großmutter mir erklären musste, dass es ein Begriff ist, der uns von den anderen durch die Religion unterscheidet, aber nur da, da habe ich gespürt, ich bin anders. Etwas, das man nicht achtet und nicht ehrt.“

IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch hielt Ende Januar im Deutschen Bundestag eine Rede anlässlich der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus. 

IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch hielt Ende Januar im Deutschen Bundestag eine Rede anlässlich der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus.  © Michael Kappeler/dpa

Aus der lebhaften und aufgeweckten Charlotte wurde ein Kind, das sich zurückzog. Schon bald durfte auch die Klavierlehrerin nicht mehr vorbei kommen, Spuckattacken und Beleidigungen wurden Alltag. „Man sehnt sich danach, ein Kind zu sein und fragt sich später, „Warum bin ich nicht so wie die Anderen?“ Und diese Gedankengänge belasten natürlich einen jungen Charakter enorm. Und wenn du das Vertrauen zu Menschen überhaupt verlierst dann ist das in deiner kindlichen Art auch eine Katastrophe. Du wirst automatisch ein Außenseiter.“

Ende der 1930er Jahre ist die Arisierung in vollem Gange. Die Novemberpogrome 1938 und die Vernichtung jüdischer Existenzen erlebt Familie Neuland am eigenen Leib mit. Ihr Vater verlor seine Lizenz und seine Kanzlei am Stachus. Auch in der Privatwohnung bekamen die Neulands immer öfter unangemeldeten Besuch der Nationalsozialisten.


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Vater und Großmutter versuchten sie zu schützen, die Realität konnten sie aber nicht vor ihr verstecken. Der Deportationsbefehl kam im Sommer 1942. Vater Fritz musste eine Person aus seiner Familie für den Alten- und Kindertransport melden. Albertine Neuland traf die schier unmögliche Entscheidung. Um das Leben ihrer Enkelin zu schützen ging sie. Sie starb 1944, verhungert im Konzentrationslager Theresienstadt.

2016 wurde Kreszentia Hummel und Pfarrer Josef Scheiber zu Ehren eine Tafel in Arberg enthüllt. Hummel wurde zudem als "Gerechte unter den Völkern" geehrt. Der höchsten Auszeichnung des Staates Israel für Nicht-Juden. 

2016 wurde Kreszentia Hummel und Pfarrer Josef Scheiber zu Ehren eine Tafel in Arberg enthüllt. Hummel wurde zudem als "Gerechte unter den Völkern" geehrt. Der höchsten Auszeichnung des Staates Israel für Nicht-Juden.  © Repro VNP

„Sie hat mich ins Badezimmer gerufen, das war fensterlos. Ich weiß nicht warum dorthin. Vielleicht weil sie sich wohler gefühlt hat als in einem großen Raum. Da hat sie mir gesagt, dass sie auf Kur geht und wieder zurück kommt. Ich habe sie umarmt und wusste sofort, dass wir keine Chance haben. Ich wusste, dass ich sie nie wieder sehen werde. Das war für mich ein Abschied auf Ewigkeit und das muss man erleben. Das ist eine der grauenvollsten Szenen die ich jemals in meinem Leben hatte – der Abschied.“ Knobloch ist auch Jahrzehnte später sichtlich ergriffen, wenn sie von diesem Moment erzählt.

Mit dem Zug brachte ihr Vater sie in das Dorf Arberg im Landkreis Ansbach. Sein Ziel: der Bauernhof der Familie Hummel. Kreszentia Hummel, die ehemalige Haushälterin ihres Onkels Willi, nahm die mittlerweile 10-Jährige auf und gab sie als ihr uneheliches Kind, ein „Bankert“ aus – Zu damaligen Zeiten ein Skandal. „Sie hat es akzeptiert, was die Leute ihr nachgesagt haben. Sie war eine sehr fromme und religiöse Frau", beschreibt Knobloch die "Zensi".

Mit eingeweiht war der Pfarrer der Gemeinde, Josef Scheiber. Ihr Leben drehte sich in den folgenden drei Jahren ganz um die Landwirtschaft, Tiere füttern, die harte Arbeit auf den Feldern. „Die Tiere haben mir das Leben sehr erleichtert. Sie waren mein Gesprächspartner. Ich kam in eine ganz andere Welt, wusste aber, ich muss alles machen, was man mir sagt. Ich darf nicht darüber nachdenken, nur so kann ich mein Leben retten.“


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Den Krieg hat sie nur über das Radio miterlebt. Einzig die Flugzeuge, die Nürnberg bombardiert haben und über das Dorf flogen waren Zeugnis einer realen Bedrohung. Nach Ende des Krieges 1945 kam ihr Vater eines Tages nach Arberg, es war Zeit, nach München zurückzukehren. Anfangs war Fritz Neuland mit seinem Vorhaben nicht erfolgreich.

„Ich wollte die Leute nicht mehr wiedersehen, die uns so ausgegrenzt und ihre Hass uns gegenüber so gezeigt haben. Ich wäre gerne dort geblieben. Ich bin unter innerem Protest zurück nach München. Und ich wusste: Ich verlasse dieses Land so schnell wie möglich.“

Traumland: Amerika

Ihr Wunsch war es, zu ihrem Onkel Willi und seiner Familie nach New York zu ziehen. Doch wieder sollte ihr Leben anders verlaufen, als sie es sich wünschte – dieses mal jedoch weitaus positiver. Mit 16 Jahren lernte sie den polnischen Juden Samuel Knobloch kennen. Als sein Name im Podcast fällt, verändern sich ihre Gesichtszüge, sie lächelt. Beide hatten den Drang, Deutschland zu verlassen. Es sollte nach St. Louis im US-Bundesstaat Missouri gehen, die Koffer waren gepackt, die Visa beantragt. Dann wurde Knobloch schwanger, Sohn Bernd kam 1951 zur Welt. In den Jahren danach kamen die Töchter Sonja und Iris. Der Traum auszuwandern verblasste, je älter ihre Kinder wurden und je mehr sich Charlotte Knobloch in ihrer Heimatstadt für die jüdische Gemeinschaft einsetzte.

Die neue Heimat der jüdischen Gemeinde: Die Ohel-Jakob-Synagoge samt Museum und Gemeindezentrum in München. 

Die neue Heimat der jüdischen Gemeinde: Die Ohel-Jakob-Synagoge samt Museum und Gemeindezentrum in München.  © VNP

“Gott sei Dank konnte ich meine Meinung zu Deutschland revidieren. Es war keine fröhliche Zeit aber ich konnte viel Positives erleben und dabei behilflich sein, dass viele Brüder und Schwestern genauso denken wie ich. Und das ist am Ende das Entscheidende“, sagt sie heute.

Am 9. November 2006, auf den Tag genau 68 Jahre nach der Pogromnacht bekam die jüdische Gemeinde in München wieder ein Zuhause. Unweit der Marienkirche wurde die Ohel-Jakob-Synagoge samt Gemeinde- und Kulturzentrum eingeweiht. Für Knobloch, die seit 1985 Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde ist, einer der glücklichsten Tage ihres Lebens.

Steigender Antisemitismus

Doch Polizeischutz, Panzerglas und Beton-Poller rund um den Platz um die Synagoge zeigen, wie gefährlich das Leben für jüdische Mitbürgerinnen und Bürger auch heute noch ist. Alleine im Jahr 2020 wurden in Deutschland 2275 antisemitische Straftaten angezeigt, das sind sechs judenfeindliche Angriffe pro Tag. Dass im Zuge der Querdenker-Demonstrationen Menschen mit einem Judenstern am Oberarm auftreten und Verschwörungen wittern, ist für Knobloch mehr als unverständlich.


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Was ihr bei solchen Bildern durch den Kopf geht? "Ich frage mich, wie so etwas rechtlich möglich ist. Dass es Menschen gibt, die ihre eigenen Vorstellungen vom Leben haben, das muss man akzeptieren. Aber dass sie nicht darauf hingewiesen werden können, dass sie einen gesetzlichen Fehler machen und sich mit einer Schuld beladen - Das ist es, was mich stört. Diese Menschen kann man wahrscheinlich nicht zur Vernunft bringen. Ich wünsche mir, dass unsere heutige Demokratie die Möglichkeiten hat, dass so etwas nicht erlaubt wird. Ich sitze in einem Land, in dem Millionen Menschen ermordet wurden, weil sie einer Religion angehörten, die Adolf Hitler und seinen Kumpanen nicht gepasst hat. Kann man sagen, dass der Gedenkort in Berlin ein Schandfleck ist. Kann man das sagen? Soll man das sagen? Ohne, dass irgendetwas passiert? Nein.”

In ein paar Jahren werden keine Zeitzeugen mehr erzählen können. Macht sie sich Sorgen um die Erinnerungskultur im Land? "Zwei Generationen sollten da schon daran arbeiten. Die Grundlagen müssen unsere Nachkommen schaffen. Ich bin da positiv eingestellt. Wenn es gut angepackt wird, dann kann eine Erinnerungskultur erhalten bleiben." Charlotte Knobloch hat in ihrem Leben ihren Koffer ausgepackt. „Am Ende kann ich sagen: Ich bin eine stolze Deutsche.“

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